Vol 2 (2019), No 1: 1–5
DOI: 10.21248/jfml.2019.13
Rezension
Knape, Joachim/Kramer, Olaf/Till, Dietmar (Hg.) (2019): Populisten – rhetorische Profile. Tübingen: Narr Francke Attempto (DIALOGE). 106 Seiten. 14,99 € ISBN 978-3-89308-454-8.
Der politische Diskurs wurde in den letzten Jahren durch die Erfolge populistischer Parteien und die Diskussion darüber, wie mit dem Populismus umzugehen sei, geprägt. Dass sich das Thema Populismus für die von Narr Francke Attempto herausgegebene neue Reihe DIALOGE geradezu aufgedrängt hat, ist daher nachvollziehbar:
Die Reihe DIALOGE schafft den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Renommierte Geisteswissenschaftler berichten darin von ihrer Forschung zu Themen, die auch außerhalb der Hochschulen die Gesellschaft aktuell bewegen. [...] Die Reihe sucht den Dialog zwischen Fachwissenschaftlern, Studierenden und interessierten Lesern.[1]
Die vom Verlag vorgegebene Zielsetzung der Reihe – die im Übrigen nirgendwo im Buch erläutert wird und erst nach einigermaßen mühsamer Suche auf der Website von Narr Francke Attempto aufzufinden ist – bedingt die Kürze des Bandes und setzt eine relativ einfache Lesbarkeit voraus. Letztere scheint vor allem in den Einzelanalysen populistischer Politiker_innen gegeben. Die theoretischen Kapitel am Anfang dürften für Laien, die sich noch nie mit Rhetorik als Wissenschaft beschäftigt haben, aber doch eine Herausforderung darstellen.
Dass weniger ideologische als kommunikative bzw. rhetorische Aspekte des Populismus fokussiert werden, liegt zunächst daran, dass dieser Band von Vertretern des Tübinger Rhetorik-Seminars herausgegeben wurde. Gerade durch diesen Fokus ist er aber für Linguist_innen, insbesondere Politolinguist_innen, und speziell auch für die Medienlinguistik interessant. Letzteres einerseits, weil sich schon die klassische Rhetorik mit dem Orator und der mündlichen Rede als seinem Medium auseinandersetzte, andererseits, weil sich das rhetorische Agieren der beschriebenen Populist_innen jeweils auf verschiedene Medien und Kommunikationsformen erstreckt, deren gekonnter Einsatz für ihren propagandistischen Erfolg zumindest mitverantwortlich ist, die aber auch prägend auf die jeweilige Ausformung des populistischen Stils rückwirken, wie in den Analysen klar aufgezeigt wird.
Wie schon angedeutet, enthält Populisten – rhetorische Profile am Beginn in einem als Einordnungen betitelten Abschnitt vier theoretische Kapitel, sodann zehn als Internationale Profile bezeichnete Analysen von neun Populisten und einer Populistin,[2] wobei einige der Analysen von Studierenden verfasst wurden, die an einem als Anregung für den Band bezeichneten (S. 93) Seminar teilnahmen, was der Qualität der einzelnen Beiträge aber keinen Abbruch tut. Insgesamt nimmt der vorliegende Band, wie im Nachwort erläutert wird (S. 93), eine spezielle Perspektive ein, indem er den Blick auf die Akteure in den populistischen Bewegungen lenkt und ihre kommunikativen Techniken und argumentativen Strategien vorstellt.
Im ersten, von Joachim Knape verfassten Kapitel wird der Versuch unternommen, „[...] das Konzept des Populisten als eines bestimmten Paradigmas unter den Kommunikatoren zu modellieren“ (S. 8), wobei der Autor am Ende seiner Ausführungen (S. 15) seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, man möge bei uns keinen Politiker finden, der diesem Paradigma in all seinen Komponenten entspricht.
Als Analysekategorien zieht Knape Actus (Aktivitätsmuster), Habitus (Haltung) und Status (soziale Rolle) heran. Unter Actus (S. 8–11) beschreibt er Handlungsroutinen populistisch-rhetorischen Agierens, die auf entsprechenden Rede- und Medienkalkülen beruhen. Typisch für diesen als Agitation charakterisierten Kommunikationsstil seien z. B. der „permanente Subversionsgestus“ (S. 9), der sich gegen den behaupteten Elitarismus bestehender politischer Ordnungsmodelle richtet, und ein „Exklusivitätsgestus“ (S. 9), mit dem der Anspruch erhoben wird, einzig über die Deutungshoheit im politischen Diskurs zu verfügen. Medienlinguistisch besonders interessant ist das von Knape auf der Ebene des Medienkalküls festgestellte Prinzip der „parasitären Kommunikation“, demzufolge Populist_innen ihre Provokationen als Aufmerksamkeits-Trigger für die Medien einsetzen (S. 11), die mit ihrer Berichterstattung darüber für die Verbreitung populistischer Botschaften sorgen. So funktioniere z. B. die im Beitrag von Oliver Schaub (S. 70–74) erläuterte rhetorische Taktik des kalkulierten Tabubruchs, die Björn Höcke anwende, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren (S. 73).
Der populistische Habitus (im Sinne eines Eigenschaftsmusters) (S. 11–12) bzw. der Image-Kern sei der des „fanatischen Protestlers“ (S. 12) und „des demagogischen Verführers“ (S. 12). Dabei differenziert Knape allerdings nicht, inwieweit dies Selbstzuschreibungen sind oder solche von Gegner_innen. Eindeutig ist jedoch, dass sich Populist_innen als direkte und im Gegensatz zu allen anderen von der politischen Elite unabhängige Vertreter und Verteidiger des Volkes konzeptualisieren, vor allem auch als „Volksversteher“, die behaupten, als einzige zu wissen, was das „Volk“ wirklich will (vgl. z. B. den Beitrag von Theresa Ritzer über Jörg Meuthen, S. 65–69) und daher als dessen „Anwalt“ bzw. im Falle von Marine Le Pen (vgl. den Beitrag von Selina Bernarding, S. 48–53) „Anwältin“ fungieren können.
Mit diesem Habitus als Verhaltensdisposition ist der Status (S. 12–15), d. h. die Position in einer Gesellschaft, die Populist_innen einzunehmen vorgeben, eng verbunden. Sie positionieren sich gezielt als „Außenseiter, Abweichler und Neutöner“ (S. 13) bzw. als eine Art Neuauflage des „Volkstribuns“ (S. 14) oder auch, wie Janek Elkmann in seinem Beitrag zu Norbert Hofer aufzeigt (S. 75–79), als „Opfer“ der Etablierten.
Während bei Knape praktisch nur der kommunikationsstrategische Aspekt des Populismus eine Rolle spielt, geht Dietmar Till im zweiten Beitrag (S. 16–22) auch auf Populismus als Ideologie ein, wobei er den Populismus insgesamt zurecht als ein „essentially contested concept“ bezeichnet[3] (S. 17), dessen genaue Gestalt im politischen Diskurs wie auch in der Forschung umstritten sei. Besonders interessant sind Tills Erläuterungen zur medialen Dimension des Populismus (S. 20–21): Einerseits haben Populist_innen ein eher distanziertes Verhältnis zu vielen etablierten Massenmedien, insbesondere zu Qualitätsmedien, andererseits entsprechen einander das konfliktorientierte populistische Kommunikationsverhalten und die auf Spannungserzeugung und Skandalisierung hin ausgerichtete Logik von Unterhaltungsmassenmedien (S. 20), wie auch die Analysen zu Jörg Haider (S. 33–41) und zu Silvio Berlusconi (S. 42–48) im vorliegenden Band – beide ebenfalls von Dietmar Till – belegen.
Dass die daraus resultierende wechselseitige Aufschaukelung zu einer Bedrohung für deliberative Demokratie und vernunftgeleitete Politik werden kann, argumentiert Olaf Kramer im dritten Beitrag (S. 22–26). Dabei betont er die Auswirkungen des aktuellen medialen Wandels, im Zuge dessen die Sozialen Medien einen Diskursraum mit einem großen Potenzial öffnen, das jedoch weniger für vernünftige Überlegungen und Deliberation genutzt werde als vielmehr für polemische Auseinandersetzungen ohne rationalen Anspruch und für die Verbreitung politischer Positionen in Form deklarativer Äußerungen, etwas, wofür Donald Trumps Kommunikationsverhalten auf Twitter als typisches Beispiel gelten kann (vgl. den Beitrag zu Trump von Kramer, S. 85–92).
Isa Fünfhausen gibt im letzten theoretischen Kapitel (S. 26–31) einen trotz der Kürze sehr informativen Überblick darüber, wie der populistische Akteur in der aktuellen Forschung charakterisiert wird.
Die unter dem Abschnittstitel Internationale Profile durchgeführten Analysen offenbar als besonders signifikant verstandener Populist_innen sind durchweg ansprechend und in ihrer Darstellung dessen, was populistisches Agieren allgemein kennzeichnet, was aber auch die einzelnen Personen speziell von anderen abhebt, gelungen. Über die getroffene Auswahl könnte man natürlich streiten. Sie ist im Großen und Ganzen aber nachvollziehbar. Einzig, dass kein „Brexiteer“ wie z. B. Nigel Farage Erwähnung findet, ist als Versäumnis zu bemängeln.
Da zu den meisten der analysierten Populist_innen bereits etwas angemerkt wurde, soll am Schluss nur auf die Beiträge zu den drei noch nicht erwähnten kurz eingegangen werden.
Alessa Becker (S. 59–65) betont vor allem die Rolle, die Reden und das Formulieren von Parolen für Viktor Orbán – z. B. für die Feindbildkonstruktion – spielen. Sie fokussiert also das Medium der Sprache, dessen Bedeutung aber auch für die medienrhetorischen Strategien aller anderen zentral ist, selbst wenn es in Verbindung mit anderen Medien wie dem Internet eingesetzt wird.
Auch Beppe Grillo zeichne sich durch eine besondere Rhetorik aus, meint Julius H. Werner (S. 80–85), indem er eine für die politische Domäne „ungewohnte und derbe Sprache“ (S. 82) verwende. Dabei seien seine Reden in „Events“ eingebaut, die an seine früheren Fernsehshows erinnern.
Mahmud Ahmadinedschad (vgl. den Beitrag von Kerstin Markl, S. 53–59) inszeniere sich in Reden, aber z. B. auch in einem Video als „kleiner Mann aus dem Volk“ (S. 55), ein nicht unüblicher Weg, um eine populistische credibility aufzubauen. Was ihn hingegen von den anderen Populist_innen unterscheide, sei eine – dem iranischen Kontext geschuldete – viel stärker religiös fundierte Argumentation, was Markl zu der abschließenden Bemerkung veranlasst, er sei ein Populist im Gottesstaat (S. 59).
Als Fazit lässt sich feststellen, dass der vorliegende Band zwar vielleicht nicht allzu viele neue Erkenntnisse erbringt, was aber auch weder das Ziel der Reihe ist, in der er publiziert wurde, noch das dieses Buches sein kann. Vielmehr handelt es sich – in den theoretischen Kapiteln – um eine exzellente Einführung in die Thematik populistischer Rhetorik und – in den Analysekapiteln – um exemplarische Anwendungen eines medienrhetorischen Ansatzes. Die Lektüre kann daher nur allen empfohlen werden, die sich für das Phänomen des Populismus und seine Manifestation im medialen politischen Diskurs interessieren. Darüber hinaus sollte das Buch in keinem Handapparat zu einer thematisch einschlägigen Lehrveranstaltung fehlen.
Literatur
Gallie, Walter Bryce (1956): Essentially Contested Concepts. In: Proceedings of the Aristotelian Society. New Series 56, 167–198.
[1] Siehe: https://www.narr.de/linguistik-kat/linguistik-reihen-kat/dialoge.
[2] Eine Nummerierung der Kapitel fehlt im Übrigen leider.
[3] Eine kleine Anmerkung sei hier erlaubt: Dass an dieser Stelle nicht Gallie (1956) zitiert wird, der den Begriff des „essentially contested concept“ geprägt hat, wirkt etwas nachlässig.