Vol 4 (2021), No 1: 54–87
DOI: 10.21248/jfml.2021.36
Gutachten und Kommentare unter: http://dp.jfml.org/2020/opr-jaki-this-is-simplified-to-the-point-of-banality-social-media-kommentare-zu-gestaltungsweisen-von-tv-dokus/
This is simplified to the point of banality.
Social-Media-Kommentare zu Gestaltungsweisen von TV-Dokus
Abstract
This study offers a contribution to the reception analysis of TV documentaries by focusing on viewer opinions expressed on social media. It analyses German and English comments from YouTube and Facebook in order to find out what aspects of documentaries the audience comments on. More specifically, it describes how the viewers evaluate strategies that the producers use for simplifying complex content while still creating an appealing and entertaining media product. The results imply that most viewers appreciate informative shows that are entertaining at the same time. They also show that viewers tend to focus on the music and image, rather than on the spoken text, and that documentaries where nature plays an important role are judged more positively than science and history documentaries.
Keywords: Aneignungsforschung, Fernsehforschung, Dokumentationen, Infotainment
1 Einleitung
Durch die sozialen Medien hat die menschliche Kommunikation in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht einen Wandel erfahren. Jedoch kann die Tatsache, dass faktisch nichts mehr in den sozialen Medien unkommentiert bleibt, auch für die Forschung genutzt werden, beispielsweise wenn es um die Frage geht, welche Einstellungen User*innen zu einer Sache im Allgemeinen und einem Medienprodukt im Speziellen besitzen. Das Medienprodukt, um das es hier geht, sind TV-Dokumentationen (kurz: TV-Dokus). Typischerweise handelt es sich hierbei um kürzere Formate als bei Dokumentarfilmen, und die Sendungen werden häufig im Rahmen einer Reihe ausgestrahlt, zum Beispiel Terra X.
Ziel von TV-Dokus ist es, die Zuschauer*innen sowohl zu bilden als auch zu unterhalten – eine Doppelfunktion, deren Realisierung durchaus eine Herausforderung darstellt. Hierfür greifen die Produktionsteams auf für Dokus typische Darstellungsstrategien zurück, die dafür sorgen sollen, dass sich das Publikum von der Art der Informationsvermittlung auch auf der affektiven Ebene angesprochen fühlt. Ob diese Strategien erfolgreich sind, lässt sich nur auf zwei Arten überprüfen, und zwar über die Einschaltquoten (wenngleich diese natürlich verschiedensten Einflussparametern unterworfen sind) und über verschiedene Arten der Rezeptionsstudien. Rezeptions- und Wirkungsstudien zum Thema TV-Dokus bzw. Fernsehsendungen allgemein haben bereits gezeigt, dass es häufig schwierig ist, zu erkennen, welche konkreten Effekte diese besitzen. Hier kann die Analyse fernsehbegleitender Kommunikation, wie sie in der Social-TV-Forschung betrieben wird, wichtige Einblicke bieten. Somit schlägt dieser Beitrag vor, bei der Analyse dokumentarischer Formate Social-Media-Kommentare zu den Sendungen systematischer mit einzubeziehen.
Zu diesem Zweck wird im Folgenden zunächst in das Genre TV-Doku eingeführt und ein Überblick über gängige Gestaltungsmittel gegeben (Kapitel 2), bevor die Rezeptionsforschung zu TV-Dokus und ähnlichen Kommunikaten skizziert wird (Kapitel 3). Kapitel 4 geht kurz auf die sozialen Medien Facebook und YouTube ein, die das Datenmaterial für die Hauptuntersuchung liefern. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen wird im Anschluss vorgestellt, mit welchen Materialien und welcher Methodik im empirischen Teil vorgegangen wird (Kapitel 5). Auf der Basis einer explorativen Voruntersuchung gibt Kapitel 6 zunächst einen allgemeinen Einblick über die Inhalte von Kommentaren zu TV-Dokus. Da der Hauptfokus dieses Artikels nur auf einem Teil dieser Kommentare liegt, und zwar auf solchen, die etwas zu bestimmten Aufbereitungsstrategien aussagen, wird dieser Aspekt im zweiten Teil des Kapitels herausgegriffen und mit Hilfe einer spezifischeren Sammlung von 420 Kommentaren untersucht, bevor die Ergebnisse zusammengefasst und um einige Abschlussbemerkungen ergänzt werden (Kapitel 7).
2 Gestaltungsmerkmale von TV-Dokus
2.1 Dokumentation und Dokutainment
Der Darstellung der Gestaltungsmerkmale von TV-Dokus muss zunächst eine Definition des zu untersuchenden Genres Dokumentation[1] vorausgehen. Da es sich um ein sehr heterogenes Genre mit zahlreichen hybriden Unterformen handelt, fällt eine eindeutige Definition schwer und erfolgt daher häufig über den kleinsten gemeinsamen Nenner an charakteristischen Eigenschaften. Da dieser Artikel die Rezeptionsperspektive von Dokumentationen in den Blick nimmt, soll zunächst erwähnt werden, welche Merkmale aus Rezipient*innensicht definitorisch sind. Wie eine Rezeptionsstudie zu britischen TV-Dokus von Aron (2014) auf der Basis von Fokusgruppendiskussionen zeigt, sind dies Folgende:
A documentary is something which imparts information or educates, is factual or real, well-researched and in-depth, and less urgent and current than the news. Its purpose is to inform and educate the public, it should aim to be objective, its credibility is largely dependent on a programme’s reputation, and people generally watch it through an interest in the subject matter. (Aron 2014: 211)
Dass Dokumentationen nicht nur den Anspruch besitzen, Fakten zu vermitteln, sondern auch zu unterhalten, verdeutlicht die Definition von Corner (2002: 358), der die Dokumentation als „genre of inquiry and argument, of observation and illustration and, particularly in the last few years, of diversion and amusement“ bezeichnet. Aus diesem Grund kann man Dokumentationen heute als hybride Präsentationsformen begreifen, die Strategien der Wissensvermittlung mit Unterhaltung verbinden. Diese Art der Dokumentation steht im Zentrum dieses Beitrags und ist abzugrenzen von Dokumentationen, die reportageähnlich sind und in höherem Maße dazu dienen, Handlungsänderungen herbeizuführen.[2] Für TV-Dokumentationen allgemein, aber insbesondere für diejenigen, die in ihrer Gestaltung intensiv auf Unterhaltungselemente setzen, wird der Begriff docutainment bzw. Dokutainment verwendet (vgl. z.B. Glaser/Garsoffky/Schwan 2012). Ein typisches Beispiel für Dokutainment wäre Terra X im deutschen Fernsehen (ZDF), aber auch die ebenfalls öffentlich-rechtlichen Sendereihen Horizon (BBC) oder Nova (PBS) zählen dazu. Hier werden die medialen Prinzipien Emotionalisierung, Dramatisierung und Personalisierung (vgl. Burger/Luginbühl 2014: 368–369) intensiv genutzt, um die Zuschauer*innen emotional zu involvieren. Besonders die chronologische Natur historischer und archäologischer Inhalte suggeriert die Nutzung verschiedener Verfahren des Storytelling und führt zur Inszenierung nachgespielter Szenen (Reenactment[3]), die in ihrer Ausgestaltung bisweilen an Hollywood-Produktionen erinnern (vgl. z.B. Hobden 2016 oder Jaki 2019).
Dokutainment erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Im Jahr 2019 beispielsweise belegte Terra X mit einer durchschnittlichen Zuschauer*innenzahl von 3,96 Mio. den zweiten Platz unter den Informationssendungen im deutschen Fernsehen, direkt hinter Brennpunkt (ARD) und noch vor Erlebnis Erde (ARD) und Anne Will (ARD) (vgl. Statista 2020). Dies ist ein Beleg dafür, dass das Prinzip Dokutainment Anklang findet. Dennoch werden die Gestaltungsprinzipien von Dokus häufig nicht unkritisch gesehen. Zum Teil geht es hier allgemein um eine Verflachung der Sendungen aufgrund von (zu starker) Emotionalisierung[4]. Bisweilen geht es aber auch darum, dass die behandelten Fachwissenschaften sich bzw. ihre Inhalte nicht adäquat dargestellt sehen (vgl. z.B. Samida 2012 zum Thema Archäologie).
2.2 Dokumentationen als multimodale Kommunikate
TV-Dokus sind multimodal vielschichtig ausgestaltete Medienprodukte. Unter Multimodalität versteht man die Ko-Präsenz verschiedener kommunikativer Ressourcen, die Stöckl (2004) für Bewegtbildformate in vier Hauptgruppen gliedert, nämlich Sprache, Bild, Musik und Ton – jede dieser vier Kategorien weist wiederum Submodes auf, die von ihnen abhängen: Hört man in einer TV-Doku z.B. gesprochenen Text, weist nicht nur der Inhalt kommunikative Bedeutung auf, sondern auch andere Faktoren wie Intonation, Sprechgeschwindigkeit oder Sprechpausen. Das Bild ist besonders vielschichtig und umfasst verschiedenste Aspekte wie Farbgebung, Ausleuchtung, Schnitte, Kameraeinstellung und -bewegung usw. Wenngleich diese kommunikativen Ressourcen auch jede für sich Bedeutung schaffen, ist für Multimodalität die Interaktion der Modes charakteristisch, im Kontext von Dokus bzw. Dokumentarfilmen insbesondere bei der Erklärung komplexer fachlicher Inhalte, bei Emotionalisierung oder Argumentation (vgl. z.B. Jaki 2018/2019; Tseronis 2015). Obwohl aus linguistischer Sicht zunächst vor allem die sprachliche Gestaltung interessant scheint, spielen in Dokumentationen die anderen drei Hauptmodes ebenfalls eine sehr wichtige Rolle – was ihr Emotionalisierungspotenzial angeht, sogar eine wichtigere als die Sprache (vgl. z.B. Balzer 2009: 150; Bullerjahn 2014: 72–74). Auf Bildebene ist von beeindruckenden Naturbildern bis hin zu Animationen, Originalbildmaterial aus der Vergangenheit und Reenactment eine große Bandbreite an Inszenierungsmöglichkeiten gegeben (vgl. Kapitel 3 zum Emotionalisierungspotenzial der Bildebene). Corner (2002: 358–359) wiederum betont, dass die Musik in der Dokumentation primär emotionale Effekte besitzt. In gut platzierter Musik sieht Rogers (2014: 7) folgende Möglichkeiten:
[W]ell placed music can draw out a narrative, highlight the aesthetic strands between scenes, focus attention on one thing to the exclusion of others and help promote intense aesthetic bonding with certain characters or themes. Whether music is concealing editing cuts, or heightening emotion, however, its main role is to remove an audience from the auditorium and transport them into the heart of the story.
Ähnlich wie Musik werden auch die Geräusche in Dokumentationen gezielt verwendet, um gewisse Effekte, darunter Emotionalisierung, zu erzielen – hierin besteht eine Nähe zum fiktionalen Film (vgl. Murray 2010).
3 Rezeptionsforschung zu Dokumentationen
Wie Austin (2005: o. S.) unterstreicht, es aber auch heute noch zutreffend ist, ist die Publikumsperspektive auf Dokumentationen in der Forschung im Vergleich zu Produktanalysen deutlich unterrepräsentiert. Bei den Sendern selbst spielt die Publikumssicht jedoch eine große Rolle – im öffentlich-rechtlichen Bereich findet u.a. ein externes Monitoring zur Qualität der Sendungen mit (telefonischer) Zuschauerbefragung statt (vgl. Blumers/Gerstner/Tebert 2010: 131). In der akademischen Forschung existieren generell zwei größere Zweige: einerseits die klassische Rezeptionsforschung, in der vor allem mit Fokusgruppen, Fragebögen und qualitativen Interviews gearbeitet wird (vgl. Brown 2013: 6), und andererseits Arbeiten zur Aneignung von Fernsehformaten. Bei Untersuchungen, die Dokumentationen aus Rezeptionssicht analysieren, kann überdies zwischen jenen unterschieden werden, die den Fokus auf das Verstehen des Kommunikats und die Behaltensleistung legen, und jenen, bei denen es um Unterhaltungserleben oder Einstellungsänderung geht. Auf beide Kategorien soll im Folgenden kurz eingegangen werden. Allerdings muss hierzu erwähnt werden, dass die Unterscheidung zwischen Wissensvermittlung und Unterhaltung, die ohnehin verwoben sind, besonders in der Rezeptionsforschung bisweilen überflüssig ist, da Zuschauer*innen den Unterschied zwischen Information und Unterhaltung nicht automatisch als solchen wahrnehmen (vgl. Dehm/Storll 2020: 92) – „[s]ich unterhalten zu fühlen bedeutet demnach nicht nur, positive Emotionen zu erleben […], sondern auch, kognitiv in den Medieninhalt involviert zu sein“ (ARD Forschungsdienst 2016: 303). Dies zeigt auch die Behaltensstudie von Glaser/Garsoffky/Schwan (2012), die sich mit der Frage befasst, wie historische bzw. archäologische Inhalte, die in Dokus in eine Narration eingebunden sind, verarbeitet werden. Die Studie attestiert narrativen Elementen eine behaltensfördernde Leistung und belegt, dass vor allem solche Informationen gut verarbeitet werden, die direkt an den Plot der Sendung geknüpft sind (vgl. Glaser/Garsoffky/ Schwan 2012: passim).
Was die ansprechende Aufbereitung fachlicher Inhalte angeht, ergibt die Befragung von Blumers/Gerstner/Tebert (2010) für Informationssendungen allgemein, dass vor allem jüngere Zuschauer*innen eine spannende bzw. emotional anregende Gestaltung schätzen (133; 136), weswegen man aus Sicht des öffentlich-rechtlichen Fernsehens den Leitsatz „Relevant bleiben, aber emotional ansprechender und modern erzählen“ formulieren könnte (Blumers/Gerstner/ Tebert 2010: 133). Dies passt auch zu den Ergebnissen von Meyen/ Pfaff (2006) zu Geschichtssendungen im Fernsehen, wo die Befragten sowohl auf Unterhaltung, Wissensvermittlung und Glaubwürdigkeit Wert legten. Was die Moderator*innen im Bereich Informationssendung angeht, wird vor allem Informativität, Glaubwürdigkeit und Kompetenz gewürdigt – ein Pluspunkt ist jedoch die Fähigkeit, lebendig und spannend darzustellen sowie eine sympathische bzw. charismatische Ausstrahlung zu besitzen (Blumers/Gerstner/Tebert 2010: 134). Obwohl sich diese Beobachtungen auf Studiosendungen beziehen und sich daher nicht vollständig auf Dokumentationen übertragen lassen, werden wir in der Analyse sehen, dass auch hier die genannten Aspekte bei der Rezeption eine Rolle spielen.
Die bisherige Forschung belegt auch die besondere Rolle des Bildes in medialen Produkten. Dies liegt vor allem daran, dass Bilder generell einprägsamer sind als verbaler Text (vgl. Lobinger 2012: 79–82 zum sogenannten Picture-Superiority-Effekt) und sich ausgezeichnet eignen, um Emotionen darzustellen und zu erzeugen (vgl. Lobinger 2012: 85). Da emotionale Botschaften häufig gründlicher verarbeitet und erinnert werden (vgl. Bartsch/Oliver 2011; Lobinger 2012: 85), ist dieser Aspekt auch für die Informationsverarbeitung bei TV-Dokus relevant. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Arbeit von Kemmitt Smith (2007), die mit Hilfe von qualitativen Kleingruppeninterviews die Rezeption von IMAX-Dokumentationen untersucht. Hier geht es zwar nicht um Fernsehdokumentationen, sondern um die große Leinwand von IMAX-Kinos, aber dennoch sind deutliche Parallelen zu TV-Dokus gegeben. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass sich viele Zuschauer*innen nur geringfügig an konkrete Fachbegriffe oder Fakten erinnern konnten; die Bilder waren meist der Aufhänger für das, was sie behielten (vgl. Kemmitt Smith 2007: 118–123).
Many individuals decided to see an IMAX to learn more. However, they tend to recall only images, empathize with people on the screen, feel that the places and animals on the screen were dangerous, and are absorbed by the photography. (Kemmitt Smith 2007: 137)
Dies liegt zum einen daran, dass die Zuschauer*innen von der Ton- und Bildgewalt, die für IMAX-Dokumentationen charakteristisch ist, abgelenkt waren; zum anderen wird bemängelt, dass der Text (vor allem der Wissenschaftler*innen) zu viel kompliziertes Fachvokabular enthält, das den Zuschauer*innen das Verständnis erschwert (vgl. Kemmitt Smith 2007: 123)[5]. Die Beschreibung der Bilder in den Kleingruppeninterviews erfolgte vor allem durch die Adjektive beautiful, amazing oder gorgeous (vgl. Kemmitt Smith 2007: 123; 133–134). Dass Zuschauer*innen mit den Menschen auf dem Bildschirm mitfühlen, bestätigt auch Jones (2012: 198), da die dargestellten Emotionen wiederum zu Empathie führen können. Dies ist insofern für den Erfolg einer Sendung wichtig, als „[w]riters and producers understand the importance of moving their audiences and audiences value television programmes on the basis of their ability to move them“ (Gorton 2009: 11).
Andere Untersuchungen konzentrieren sich vor allem auf die Faktoren Authentizität bzw. Glaubwürdigkeit (z.B. Aron 2014; Austin 2005). Was die Glaubwürdigkeit von Geschichtssendungen betrifft, so wurden in Meyen/Pfaff (2006: 105) häufig besonders Reenactmentszenen als problematisch eingestuft.
Wie die untersuchten Online-Kommentare zeigen werden, stellen sich viele User*innen in der Anschlusskommunikation zu Sendungen aus Dokuserien als regelmäßige Zuschauer*innen mit Fancharakter dar. Zum Fanobjekt werden dabei entweder die Sendereihen an sich oder die wiederkehrenden Moderator*innen, weswegen die Fanforschung hier zumindest kurz erwähnt werden soll. Ähnlich wie in einem Fanforum (vgl. Klemm 2012) demonstrieren die Zuschauer*innen beispielsweise auf dem Facebook-Kanal von Terra X, dass Sie Teil der Fangemeinde sind, und „bilden eine dauerhafte Wissens- und Interpretationsgemeinschaft“, fordern „dramatische Loyalität“, schaffen jedoch auch ein Forum zur Aushandlung gesellschaftlicher Werte (Klemm 2012: 27). Dass es dabei auch zu Konflikten kommt, ist nicht ungewöhnlich (Klemm 2012: 28). Solche Untersuchungen sind Teil der Medienaneignungsforschung. Insbesondere die Arbeiten zur Aneignung von Fernsehformaten, die u.a. aus den Desiderata der Wirkungsforschung entstanden (vgl. Klemm 2004: 189–191), sind in diesem Kontext relevant. Neuere Fernsehaneignungsforschung orientiert sich in Richtung des Social TV, also der „systematische[n] Verknüpfung des linearen […] Einwegmediums Fernsehen mit den interaktiven Kommunikationsinstrumenten sozialer Netzwerke“ (Klemm/Michel 2014: 3–4). Da bislang die Analyse der Aneignung von TV-Dokus beziehungsweise der multimodalen Elemente von Wissensformaten noch unterrepräsentiert ist, möchte diese Arbeit hierzu einen Beitrag leisten. Zu betonen ist, dass es in dieser Untersuchung weder notwendigerweise um eine synchrone Nutzung der sozialen Medien zur Rezeption der Sendungen geht (denn diese erfolgt vermutlich meist im Sinne einer Vorab- bzw. Anschlusskommunikation), noch um eine zwangsläufig lineare Rezeptionssituation. Die Rezeption von TV-Dokus erfolgt heute nämlich nicht mehr allein über das Fernsehgerät, sondern zunehmend auch non-linear, z.B. über die Mediatheken, YouTube oder Streamingdienste, vor allem bei jüngeren Zuschauer*innen (vgl. Dehm/Storll 2020: 92). Allerdings sind auch die Anschlusskommunikation und nicht-lineare Rezeptionsformen in einer weiten Definition von Social TV enthalten (vgl. Buschow/Schneider 2015: 13–14).
4 Wissenschaftskommunikation und soziale Medien
Wissenschaftskommunikation wird heute weniger im Sinne einer unidirektionalen Top-Down-Aktivität verstanden, sondern als interaktionaler Prozess, in dem auch Laien am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen – Public Engagement with Science statt Public Understanding of Science (vgl. Metag 2017: 253–254). Zu diesem interaktionalen Charakter der Wissenschaftskommunikation tragen auch soziale Medien wie Twitter, Facebook und YouTube bei. Zu beachten hierbei ist allerdings, dass wissenschaftliche Themen online mehrheitlich von nicht-wissenschaftlichen Akteuren, z.B. den Massenmedien, bestimmt werden (vgl. Schäfer 2017: 280). Ein Beispiel hierfür ist auch der Facebook-Account von Terra X, auf dem nicht nur über die Folgen von Terra X diskutiert wird, sondern auch weitere gesellschaftsrelevante Neuigkeiten aus der Wissenschaft in Kurzform dargestellt werden.
Wissenschaftliche Diskurse in den sozialen Medien werden von den User*innen häufig primär unter politischen Gesichtspunkten geführt, wie z.B. Shapiro/Park (2015) in Bezug auf YouTube-Kommentare zu Videos über den Klimawandel zeigen, bei denen die Diskussionen häufig relativ losgelöst von den Inhalten der Videos stattfinden. Das heißt, dass die Kommentierung von Content in den sozialen Medien zum Teil nur als Vehikel genutzt wird, um bestimmte politische Überzeugungen auszudrücken, dass soziale Medien folglich „emotionalisierte, strategische und identitätsorientierte Diskurse begünstigen“ (Bucher 2020: 124). Gleichzeitig zeigt dies jedoch auch, wie stark wissenschaftliche und politische Diskurse miteinander verwoben und dass sie daher an vielen Stellen kaum voneinander trennbar sind.
Wenngleich sowohl YouTube als auch Facebook zu den sozialen Medien gezählt werden können, unterscheidet sich YouTube von Facebook jedoch generell darin, dass es sich primär um eine Videoplattform handelt:
Videoplattformen wie YouTube sind stark hybride Medienangebote. So erlauben sie die Verbreitung fernsehähnlicher audiovisueller Inhalte durch die Präsentationsform der Inhalte auf Webseiten, die in der Regel Kommentierungsmöglichkeiten durch Nutzer beinhalten, haben aber auch einen stark sozialen, interaktiven Charakter. (Emmer 2017: 89)
Besonders YouTube wird als Wissenschaftsplattform par excellence gesehen (vgl. Bucher 2020: 137). Häufig wird dort Fremdmaterial verbreitet, indem ein Video, das von jemand anderem (z.B. von einem großen Fernsehsender) produziert wurde, hochgeladen und rekontextualisiert wird, indem man ihm einen neuen Titel gibt (vgl. Androutsopoulos 2016: 358).
Facebook als soziale Netzwerkseite dagegen stellt ein klassisches soziales Medium dar (Emmer 2017: 90). Beide ähneln sich im Kontext dieser Untersuchung, da es auch auf Facebook die Möglichkeit gibt, Filme einzubetten, die dann kommentiert werden können.
5 Material und Methode
Um Social-Media-Kommentare zu Gestaltungsweisen von TV-Dokumentationen zu analysieren, wurde zunächst eine verkürzte Voruntersuchung durchgeführt, die dazu diente, sich einen ersten, explorativen Eindruck davon zu verschaffen, welche Kommentierungspraxen in Bezug auf TV-Dokus generell existieren. Dies sollte wiederum als Basis für den Hauptuntersuchungsschritt dienen, in dem ausschließlich solche Kommentare berücksichtigt wurden, die sich konkret mit der Gestaltungsebene der Dokus beschäftigen. Die vollständigen Annotationsrichtlinien für beide Teile der Untersuchung befinden sich im Anhang.
5.1 Voruntersuchung
In diesem explorativen Schritt wurde zunächst ein kleines Sample an Kommentaren zusammengestellt. Es handelt sich um 279 deutsch- und englischsprachige Kommentare aus verschiedenen Quellen (vgl. Kapitel 5.2 bezüglich der Sprachenwahl). Die meisten Kommentare stammen von Facebook oder YouTube. Sie beziehen sich entweder auf die gesamten Sendungen oder auf Ausschnitte aus den Sendungen bzw. Verweise auf die Mediatheken.
Es handelt sich nicht um eine repräsentative Datensammlung, denn das Ziel war, sich einen Gesamteindruck davon zu verschaffen, auf welche inhaltlichen Aspekte die Kommentare sich beziehen. Zu beachten ist, dass die zitierten Kommentare in ihrer ursprünglichen Form übernommen wurden, d.h. dass sprachliche Fehler nicht korrigiert wurden.
Die Arbeit orientiert sich dabei primär an folgender Frage der Fernsehaneignungsforschung, die den Mikrobereich der Analyse sozialer Medien betrifft (vgl. Klemm/Michel 2015: 53): Welche Themen werden in den Kommentaren angesprochen und gehen die Themen über die in der Sendung präsentierten hinaus? Methodisch wurde mit einer qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. z.B. Mayring/Fenzl 2019) gearbeitet, bei der die inhaltlichen Kategorien induktiv generiert wurden. Dabei ist zu betonen, dass die Postulierung von Textthemen immer zu einem gewissen Grad subjektiv ist, da sie nicht objektiv in den Äußerungen enthalten sind, sondern im Nachhinein bestimmt werden müssen und deutungsabhängig sind (vgl. Klemm 2001: 116).
Um zu eruieren, welcher Natur die Kommentare waren, also ob sich die User*innen eher lobend oder kritisierend äußerten, wurden die in Kategorien eingeteilten Kommentare manuell nach positiver bzw. negativer Polarität klassifiziert. Der Begriff der Polarität ist für die Zwecke dieser Analyse aus der Sentimentforschung entliehen. Sentimentanalyse sowie das mit ihr verwandte Opinion Mining dienen der systematischen Bestimmung von „people’s opinions, appraisals, attitudes, and emotions toward entities, individuals, issues, events, topics, and their attributes“ in großen Textmengen (Liu 2011: 459), so dass die Polarität einer Äußerung angibt, ob es sich um eine positive oder negative Meinung, Einstellung oder Emotion handelt oder um eine neutrale Äußerung. Ein Problem der Sentimentanalyse allgemein ist jedoch, dass sie immer nur eine Approximation darstellen kann, da eine Kategorisierung von Meinungen und Emotionen ein schwieriges Unterfangen darstellt. Auch die dichotome Unterscheidung in positiv und negativ kann der Komplexität menschlicher Kommunikation selbstverständlich nicht umfänglich Rechnung tragen, ist aber für eine Strukturierung der Daten gerechtfertigt, die darauf abzielt, anzugeben, ob bestimmte Aspekte von Dokumentationen tendenziell negativ oder positiv bewertet werden.
Insbesondere bei Sprachdaten, in denen sich Sentiment unter Umständen sehr subtil äußert (vgl. Pang/Lee 2008: 20), ist bei einer manuellen Annotation der Daten nach ihrer Polarität unbedingt auf den Konsens mehrerer Annotator*innen zu achten, auf sog. interrater agreement; dieses Problem wird beispielsweise in Jaki/De Smedt (2019: passim) anhand der Sendungstexte von TV-Dokus ausführlich diskutiert. Am ehesten darauf verzichten kann man in Fällen, in denen sich die Polarität relativ einfach feststellen lässt. Da dies auf die untersuchte Datensammlung zutrifft, wurde hier lediglich mit einer Annotatorin gearbeitet.
5.2 Hauptuntersuchung
Da sich die Kommentare zu Dokumentationen nicht häufig auf die Gestaltungsmerkmale der Sendungen beziehen, wurde in diesem Schritt der Untersuchung eine umfangreichere Materialsammlung auf YouTube und Facebook betrieben. Insgesamt wurden 8736 Kommentare gesichtet und auf 420 reduziert, die im Zusammenhang mit der Gestaltung von Dokus interpretiert werden können.
Die Sendungen, zu denen die Kommentare auf YouTube gepostet wurden, stellen das Untersuchungskorpus eines umfassenderen Forschungsprojekts zu TV-Dokus dar, an dem die Autorin dieses Beitrages arbeitet. Die Analyse der Datensammlung auf Produktebene brachte zuvor einige Erkenntnisse zu Merkmalen von TV-Dokus hervor, die auch in dieser Untersuchung im Fokus stehen, weswegen aus Gründen der Kohärenz hier dasselbe Filmmaterial gewählt wurde. Konkreter handelt es sich um 54 Dokumentationen aus dem Bereich Geschichte sowie Naturwissenschaft/Technik, davon 36 englisch- und 18 deutschsprachig. Aus diesem Grund sind auch die untersuchten Kommentare entweder auf Englisch oder Deutsch verfasst.
Für alle Dokumentationen wurde überprüft, ob sie sich auf YouTube befinden. Im positiven Fall wurden die zugehörigen Kommentare gesammelt. Da einige Videos sehr viele Kommentare nach sich ziehen (z.B. Russia’s Lost Princesses über 4000 und The Crusades: Holy Land über 3000), wurden jeweils nur die ersten 300 berücksichtigt. Was die Facebook-Kommentare betrifft, so konzentriert sich die Materialsammlung auf das Profil von Terra X, denn Terra X ist die erfolgreichste Dokumentarreihe in Deutschland und nimmt in Bezug auf Social-Media-Aktivitäten eine Vorreiterrolle für den Bereich Dokumentation ein. Hier kümmert sich ein Social-Media-Team des ZDF intensiv um den dazugehörigen Account, auf dem täglich mehrere kurze Videos gepostet werden. Diese Videos sind vor allem Erklärstücke, Nachrichten aus der Wissenschaft, Ausschnitte aus Dokus und Ankündigungen neuer Dokus mit Verweis auf die Mediathek. Häufig wird pro neuer Sendung der Reihe Terra X mehr als ein Post abgesetzt, um das Produkt aktiv zu bewerben. Es wurden alle Kommentare ausgewählt, die sich auf Dokus beziehen, mehr als lediglich einen Link oder Mentions enthalten, und dies mit Begrenzung auf den Zeitraum vom 01.02. bis 10.05.2020.
In der Regel umfasste die Sichtung auch Unterkommentare, allerdings sind diese häufig für die konkrete Fragestellung wenig zielführend, da sie in vielen Fällen persönliche Auseinandersetzungen, politisch motivierte Bemerkungen[6] oder detaillierte Diskussionen einzelner Informationen der Dokus enthalten. Daher wurden bei Videos mit mehr als 300 Kommentaren keine Unterkommentare berücksichtigt. Überdies wurden nur solche Kommentare berücksichtigt, die in englischer bzw. deutscher Sprache gehalten waren (und ebenfalls mehr Text als nur eine Verlinkung oder eine Namenserwähnung enthalten).
Ähnlich wie bei der Pilotstudie wurden alle 420 Kommentare in Bezug auf ihre Polarität binär kodiert. Darüber hinaus wurden die Kommentare weiter untergliedert, um untersuchen zu können, ob sie sich, insbesondere in ihrer Polarität, in Abhängigkeit von ihrem Themenbereich unterscheiden. Dafür wurde unterschieden zwischen den Bereichen Naturwissenschaft/Technik, Geschichte und Natur[7], wobei der dritte Bereich nur von den Facebook-Kommentaren abgedeckt wird. Außerdem wurde Stöckls Einteilung in Hauptmodes (2004) verwendet, um den Inhalt der Kommentare zu kategorisieren, und zwar in Text (im Sinne von sprachlich realisiertem Text), Bild und Musik/Ton.[8] Dies entspricht auch der Beobachtung in Klemm (2001), dass Bild, Text und Ton bei der Aneignung von Fernsehformaten die Hauptausgangspunkte für Themenimpulse bieten. Eine weitere Kategorie (Andere) wurde hinzugefügt, um Kommentare abzudecken, die übergreifende Aussagen darstellen, die sich auf die Gestaltung des Kommunikats als Ganzes beziehen, sich also nicht auf eine der Ebenen des multimodalen Produkts beschränken. Diese Einteilung ist bedingt durch die Tatsache, dass die Arbeit einen Beitrag dazu leisten möchte, wie sich die Zuschauer*innen die multimodalen Elemente von Dokus aneignen. Deswegen wird hier, wie in Stöckl (2004), auf die Modalitätengruppen Text, Bild, Ton/Musik zurückgegriffen, gleichzeitig aber auch durch die Kategorie Andere der Orchestrierung der Modes zu einem multimodalen Gesamtkommunikat Rechnung getragen.
5.3 Forschungsfragen
Folgende drei Forschungsfragen sollen durch die Vor- und Hauptstudie beantwortet werden:
• FF1: Welche Aspekte der Gestaltung von TV-Dokumentationen werden von den Zuschauer*innen bei der Aneignung dieser Formate in den sozialen Medien generell diskutiert? Insbesondere: Welche Aspekte des multimodalen Kommunikats erfahren bei der Aneignung von TV-Dokus besondere Aufmerksamkeit?
Die Rezeptionsforschung diskutiert primär Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Behaltensleistung und Unterhaltungserleben (vgl. Kapitel 3). In der Produktforschung kommt vor allem die multimodale Gestaltung der Kommunikate zum Tragen, insbesondere der Aspekt der Emotionalisierung, die vor allem durch die Orchestrierung der Modes entsteht (vgl. z.B. Hobden 2016; Jaki 2019; Kircher 2012). Inwiefern diese Gesichtspunkte bei der Aneignung der Formate jedoch überhaupt eine Rolle spielen, ist bislang noch unzureichend untersucht.
• FF2: Wie werden diese Gestaltungselemente bewertet?
Untersuchungen zu den Gestaltungsweisen von TV-Dokumentationen erfolgen in der Regel unter Berücksichtigung von wissenschaftsgeprägten Bewertungskriterien, die für die Rezipierenden der Sendungen jedoch nicht notwendigerweise relevant sein müssen. Ein nicht-intervenierendes Untersuchungssetting, wie es hier der Fall ist, erhöht hierbei die Wahrscheinlichkeit, neue Einsichten über die Einschätzung der Zuschauer*innen zu den Gestaltungsweisen zu erfahren.
• Wie bewerten die Rezipient*innen den Status der Sendungen als Dokutainment?
Wenngleich die Sender stark auf das Prinzip Dokutainment setzen und damit auch erfolgreich sind, ist genau dieses Prinzip häufig Kritik unterworfen, da dadurch eine (vermeintliche) Verflachung wissenschaftlicher Inhalte zu drohen scheint. Bei der Frage, wie Dokutainment bewertet wird, ist weder die Produzierenden-, noch die wissenschaftliche Perspektive ausreichend. Auch hier kann die Rezipierendensicht mittels der Untersuchung von Social-Media-Kommentaren neue Einsichten bringen, die die bisherigen Erkenntnisse der klassischen Rezeptionsforschung um die Aneignungsperspektive erweitern soll.
6 Social-Media-Kommentare zu Gestaltungsweisen in TV-Dokus
6.1 Voruntersuchung
Es ist generell davon auszugehen, dass die meisten Kommentare von User*innen verfasst wurden, die die Sendungen tatsächlich rezipiert haben. Bei den YouTube-Kommentaren wird dies v.a. deutlich, wenn User*innen auf konkrete Stellen im Video verweisen (bisweilen unter Angabe des Timecodes). Bei den Kommentaren auf dem Terra-X-Kanal auf Facebook ist dies dadurch erkennbar, dass viele explizit erwähnen, dass sie die Sendung gesehen haben. Gewiss ist Letzteres dadurch erklärbar, dass der Kanal lediglich kurze Ausschnitte veröffentlicht und zur Rezeption der gesamten Sendung auf die Mediathek bzw. die Sonntagssendezeit 19:30 im ZDF verweist. Manche Kommentare suggerieren dagegen, dass die User*innen vermutlich nur den veröffentlichten Kurzausschnitt rezipiert haben. Eine kleine Anzahl an Kommentaren legt auch nahe, dass die Kommentierung bisweilen vollständig ohne Rezeption des Medienprodukts erfolgt.
Generell sind die in den Kommentaren erwähnten Themen sehr breitgefächert – ähnlich breit, wie dies auch bei der fernsehbegleitenden Kommunikation offline der Fall ist (vgl. Klemm 2001: passim). Jedoch enthalten die untersuchten Kommentare insbesondere Verweise auf einen oder mehrere von fünf verschiedenen Aspekten, die im Folgenden kurz erläutert werden: das Gesamturteil zu den Sendungen, Kommentare zu Inhalt und/oder Thema, zu den auftretenden Expert*innen und den Gestaltungsmerkmalen.[9] Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die Ergebnisse aufgrund der Art der Datensammlung nicht für Social-Media-Kommentare zu TV-Dokus allgemein generalisieren lassen.
Ein Teil der Kommentare ist sehr allgemein gehalten, indem er sich auf den Gesamteindruck bezieht, den die User*innen von den Sendungen besitzen. Dabei ist auffallend, dass die Mehrheit der Kommentare, die sich auf die Qualität der Sendungen im Allgemeinen beziehen, positive Polarität aufweist (57/81), häufig auch mit starker Intensität, wie in Wonderful program! My mind is completely blown… Dieser Eindruck ergibt sich introspektiv auch über diese Materialsammlung hinaus und lässt sich dadurch erklären, dass die negativen Kommentare häufig spezifische Gründe nennen.
Eine zweite Gruppe von Kommentaren bezieht zum Thema der Sendungen Stellung ([…] Much respect to the DW team for their deep dive into the luxury leather goods industry and for their fantastic presentation!). Dies kann allgemein die Wahl des Themas betreffen oder auch dessen konkrete Ausrichtung. In Bezug auf die Polarität der Kommentare in dieser Gruppe ist das Verhältnis positiv vs. negativ ausgeglichen (11 vs. 13/24).
Typisch für Social-Media-Kommentare zu TV-Dokus sind ebenfalls konkrete Bemerkungen zum Inhalt der Sendungen. Dabei handelt es sich meist um inhaltliche Richtigstellungen, wie in Jim doesn’t explain that the “nothing” at the beginning (from which our universe sprang) was not part of our Space-time, it was pre space-time. not in a vacuum of space-time. Solche Kommentare sind in der Regel sachlich und weisen nur eine geringe negative Polarität auf (mit Ausnahme von stark polarisierenden Themen wie dem Klimawandel). Zum Teil wird den Verantwortlichen jedoch auch fachliche Unkenntnis oder ideologische Motivation unterstellt, wenn es um Informationen geht, die laut den User*innen ungerechtfertigterweise ausgelassen wurden. Vermutlich aus diesem Grund ist auch bei dieser Kommentargruppe das Verhältnis positiv vs. negativ ausgeglichen (45 vs. 94/139).
Die Aufmerksamkeit der User*innen liegt bisweilen auch auf den Expert*innen – entweder denjenigen, die als Moderator*innen durch die gesamte Sendung führen, oder denjenigen, die als externe Expert*innen, z.B. als sog. Talking Heads, hinzugezogen werden. In der Datensammlung halten sich Kommentare mit positiver und negativer Polarität erneut mehr oder weniger die Waage (26 vs. 21/47). Positive Kommentare beziehen sich insbesondere auf die Leistung der Expert*innen, die gleichzeitig als Moderator*innen auftreten (I would love to take classes from her, she is so passionate about her subjects I just love Joan !). Negative Kommentare dagegen sind häufig weniger gegen fachliche Aspekte gerichtet, sondern die (vermutete) politische Gesinnung (z.B. Harald Lesch als Staatswissenschaftler).
Die für diesen Beitrag zentrale Kategorie sind Kommentare, die sich auf die Gestaltung der Sendungen, d.h. deren Aufbereitungsstrategien, beziehen. Die Kommentare dieser Gruppe weisen in der explorativen Voruntersuchung häufiger positive als negative Polarität auf (55 vs. 40/95). Dies hat damit zu tun, dass sie in vielen Fällen die Qualität der Fernsehbilder loben, v.a. in Bezug auf Terra-X-Dokus (Danke für die hervorragende Arbeit die ihr geleistet habt es sind mega beeindruckende Bilder die einen Emotional berühren [...]). Üblich sind jedoch auch Kommentare, die sich auf Aspekte der Unterhaltung, z.B. die Hintergrundmusik, oder der Vereinfachung beziehen, wobei Letztere vor dem Hintergrund der Verständlichkeit beurteilt werden oder kritischer als „Verflachung“ wissenschaftlicher Inhalte (This is simplified to the point of banality. […]). Interessant ist diese Kategorie insbesondere, da sie genau die Aspekte betrifft, die im Zusammenhang mit TV-Dokus (mitunter kritisch) diskutiert werden (vgl. Kapitel 2). Während in vielen bisherigen Rezeptionsstudien der Aspekt der Behaltensleistung im Vordergrund steht, ist es jedoch auch wichtig zu wissen, wie die Zuschauer*innen auf die Aufbereitungsstrategien von Wissensinhalten, die mit Vereinfachung und Emotionalisierung einhergehen, reagieren bzw. wie sie diese bewerten. Dazu gehört beispielsweise auch, dass viele User*innen entweder allgemein darauf verweisen, dass die Sendungen bei ihnen Emotionen auslösen, und zum Teil auch, welche Emotionen ausgelöst werden (I felt so many emotions during the course of this episode, unsettlement, sadness, happiness and pure wonder.). Um diesen Schwerpunktbereich geht es daher in der folgenden Hauptuntersuchung.
6.2 Hauptuntersuchung
6.2.1 Überblick
Von den 420 Kommentaren, die sich insgesamt mit den Gestaltungsweisen von Dokus beschäftigen, entfallen 244 auf den Bereich Geschichte, 137 auf Naturwissenschaft/Technik und 39 auf Natur.[10] Manche Kommentare enthalten mehr als einen Verweis auf Gestaltungsmerkmale. Daher ist für die Beantwortung der Frage, inwiefern sich die Kommentare auf verschiedene Gestaltungsbereiche beziehen, nicht primär die Gesamtzahl der Kommentare relevant. Stattdessen muss mit der Zahl der Gesamtbezüge auf bestimmte Gestaltungsmerkmale, 504, gearbeitet werden, wie auch dem Überblick in Tabelle 1 (siehe unten) zu entnehmen ist.
Die Ergebnisse zeigen zunächst, auf welche Gestaltungsmerkmale sich die Social-Media-User*innen beziehen: Demnach erfahren Merkmale, die auf den Gestaltungbereich Text abzielen, die größte Aufmerksamkeit, denn rund 35%[11] der Kommentare enthalten einen Bezug zum sprachlichen Text. Ca. 32% der Kommentare nehmen zum Ton, einschließlich Musik, Stellung. Dass beide Bereiche nicht getrennt erhoben wurden, liegt daran, dass aus den Kommentaren häufig nicht ersichtlich ist, ob es um die Tonmischung generell geht oder um die Musik, v.a. wenn die Lautstärke kritisiert wird. Ein Bezug zur Bildebene ist weniger üblich (19%). Kommentare in der Kategorie Andere bewerten beispielsweise die Produktionsqualität (hochwertig vs. billig) oder den Unterhaltungswert der Dokus (15%) – beides lässt sich nicht auf eine der Ebenen des multimodalen Kommunikats eingrenzen. Interessant ist darüber hinaus, dass Unterschiede zwischen den verschiedenen Dokus bestehen. So beziehen sich im Bereich Geschichte, ähnlich zum allgemeinen Ergebnis, die meisten Kommentare auf Text und Ton (38 und 30%), bei Naturdokus deutlich auf das Bild (57%) und bei den Dokus aus der Kategorie Naturwissenschaft/Technik auf Ton/Musik (42%), gefolgt vom Text (29%).
Thema |
Text |
Bild |
Musik/Ton |
Andere |
n |
Gesamt |
174 |
96 |
159 |
75 |
504 |
Geschichte |
111 |
49 |
88 |
44 |
292 |
Natur |
16 |
29 |
4 |
2 |
51 |
NW/T |
47 |
18 |
67 |
29 |
161 |
Tabelle 1: Gestaltungsbereiche nach Dokumentationstyp
Sprachlich sind die Kommentare sehr heterogen realisiert. Sie reichen von Kommentaren mit einem Wort oder wenigen Wörtern bis zu langen Absätzen. Deutlich auffällig sind Markierungen von Mündlichkeit verschiedenster Art (Auslassungen von Subjektpronomen oder von Subjekt und Kopulaverb, umgangssprachliche Interjektionen, Vulgarismen usw.). Generell jedoch reicht die Bandbreite sprachlicher Stile bis hin zu gehobenen Kommentaren wie dem Folgenden (1):
1. Al Kahllil and his team deserve hearty congratulations for bringing complex notions about the universe we inhabit into an understandable and digestible format. The degree of imagination with sympathetic illustration is testimony to a pedagogical talent which should be openly applauded.
Dies passt auch zu der Beobachtung, dass hier die Beziehung zum Sender, Format und den Moderator*innen zwischen starker Distanz und inszenierter Nähe schwankt, ähnlich wie in der Aneignung politischen Fernsehens auf Twitter (vgl. Klemm/Michel 2014: 29).
6.2.2 Ergebnisse unter Berücksichtigung der Polarität
Wie Tabelle 2 zeigt, beurteilt die Hälfte der Kommentare die jeweilige Gestaltungsstrategie der Dokumentation negativ, während 39% der Kommentare sie positiv bewerten. Dass negative Kommentare im Vergleich zu positiven Kommentaren leicht überwiegen, entspricht auch den Ergebnissen zur Aneignung politischer Fernsehinhalte auf Twitter (Klemm/Michel 2014: 22; 30).
Polarität |
Gesamt |
Geschichte |
Natur |
NW/T |
Pos |
165 |
89 |
33 |
43 |
Neg |
211 |
132 |
1 |
78 |
Gemischt |
44 |
23 |
5 |
16 |
Tabelle 2: Polarität nach Dokumentationstyp (n = 420)
Der Grad der Polarität variiert, von überschwänglichem (vgl. 2) zu eher verhaltenem (vgl. 3) Lob, von starker Kritik (vgl. 4) bis hin zu sehr sachlichen, aber kritischen Aussagen (vgl. 5). Typisch sind vor allem die überschwänglich positiven Kommentare wie in (2), in denen zum Teil versichert wird, dass Terra X wöchentlich, mitunter von der ganzen Familie, konsumiert wird. Andere Kommentare enthalten sowohl negative als auch positive Polarität (vgl. 6), typischerweise, wenn sie Lob in Bezug auf das eine Merkmal mit Kritik an einem anderen einschränken oder umgekehrt.
2. Die Folge ist voll mit Informationen, grandiosen Bildern, zum Staunen und einfach nur Wow. […]
3. Really enjoyed filming, sideshow and commentary. Thank you.
4. Virtually ruined by the stupid 1920s crap you can just imagine some BBC bearded humanities media liberal editor behind this utterly irrelevant gibberish.
5. The music is louder than the narration
6. Inhaltlich guter Text, wenn auch wie immer grausige Spielszenen dazu.
Zu beachten ist auch der Unterschied in der Beurteilung nach den verschiedenen Themenbereichen. Während Geschichte und Naturwissenschaft/Technik mehr Kommentare mit negativer als mit positiver Polarität aufweisen (bei Geschichte sind 36% positiv und 54% negativ, bei Naturwissenschaft/Technik sind es 31% und 57%), fällt die Bewertung der Naturdokus fast ausschließlich positiv aus (85% vs. 3%). Mit dem Ergebnis wird auch deutlich, dass die Naturdokus das Gesamtergebnis stark in eine andere Richtung beeinflussen.
Um einen Eindruck davon zu erhalten, wie die User*innen bestimmte Aspekte von Dokus bewerten, erfolgte eine Auswertung der Polarität der einzelnen Gestaltungsbereiche (vgl. Tabelle 3). Das wichtigste Ergebnis ist hier, dass Gestaltungsmerkmale im Bereich Text und Bild zu 57% und 59% positiv bewertet werden, im Bereich Ton jedoch nur zu 9%.
Polarität |
Text |
Bild |
Ton |
Andere |
Pos |
99 |
57 |
15 |
44 |
Neg |
59 |
25 |
120 |
20 |
Gemischt |
16 |
14 |
24 |
11 |
Tabelle 3: Polarität nach Gestaltungsbereich
Die negative Bewertung des Tons bezieht sich in der Regel konkret auf die Musik (in 129 Fällen). Viele der Kommentare stammen von YouTube, wo sich bisweilen das Problem ergibt, dass sich das illegale Hochladen von Videos ungünstig auf die Tonbalance auswirkt. Dass dies jedoch nicht der gängige Grund für die Kritik ist, wird auch dadurch deutlich, dass sich derartige Kommentare auch auf Facebook und für die Videos der offiziellen YouTube-Kanäle finden lassen. Am weitaus häufigsten wird bemängelt, dass die Musik bzw. die Tonmischung generell so laut ist, dass man sich nicht auf die Informationen konzentrieren kann (vgl. 7). Kommentare zu anderen Aspekten sind eher selten, beispielsweise Kritik zur Art der Musik. In Anbetracht der Tatsache, dass Emotionalisierung und Dramatisierung generell kontrovers gesehen werden, ist es interessant, dass nur an zwei Stellen kritisiert wird, dass die Musik zu dramatisch ist (vgl. 8). Auch Lob wie in (9) ist die Ausnahme. Weitere Aspekte, die im Zusammenhang mit Ton genannt werden, betreffen die Stimmqualität des Voice-over, also der Stimme, die im Off gesprochen wird und als Kommentar dient (vgl. 10).
7. Worthless! The loud music obliterates the narration
8. Dramatic music fills in for the 90 percent less information present compared to simply reading, and convinces the viewer of the monumental importance of each pithy segment
9. The use of Shostakovich (#7 ?) is SO PERFECT as a soundtrack. It Really helps tell the story.
10. Ich liebe eure Dokus, der Sprecher hat eine Top Stimme
Was den Gestaltungsbereich Bild angeht, so lassen sich hier ebenfalls einige Hauptgruppen ausmachen, die beinahe alle Kommentare abdecken. Fast ausschließlich positiv bewertet werden Sendungen in Terra X, in denen Landschafts- und Naturaufnahmen eine große Rolle spielen, so in der Reihe Faszination Erde[12]. Typisch sind hier lobende Ausdrücke wie super Aufnahmen, spektakuläre Aufnahmen, tolle Bilder, Wahnsinns Bilder [sic] oder wunderschöne Bilder. Gemischt fällt die Bewertung des Reenactments und der damit verbundenen Kostüme aus, jedoch scheinen gerade zahlreiche Terra-X-Zuschauer*innen die Sendungen für ihre Spielszenen zu schätzen (vgl. 11). Andere Kommentare monieren Diskrepanzen zwischen Text und Bild (Text-Bild-Schere), was aber fast ausschließlich die BBC-Two-Dokumentation The Crusades – Holy War aus dem Jahr 2012 betrifft. In der Tat ist die Zusammenstellung von Bild und Ton in der Dokumentation ungewöhnlich, als das Voice-over Entwicklungen der Kreuzzüge darstellt, während das Bildmaterial Alltagsszenen der Bevölkerung im modernen Syrien zeigt (vgl. 12).
11. […] Gerade diese Szenen sind es, die die Sendungen für mich so herrlich lebendig Machen.
12. I love how the the visual of a guy driving a tractor trolley full of plastic bottles is shown simultaneously with the narration on Crusades. Talk about being Random.
Ein großer Teil der Kommentare, die sich auf die Textebene beziehen, verweist auf die Menge an Informationen. In der Regel wird hier die Informativität der Dokus hervorgehoben, v.a. wiederum in den Facebook-Kommentaren zu Terra X (vgl. 13). Dass die Zuschauer*innen dies häufig auch im Zusammenhang mit der Unterhaltsamkeit der Sendungen oder den beeindruckenden Aufnahmen erwähnen, konvergiert mit den in Kapitel 3 dargestellten Ergebnissen der Befragungen der Fernsehsender, nämlich dass die Zuschauer*innen von Informationssendungen im Fernsehen Bildung und Unterhaltung gleichermaßen erwarten. In diesem Zusammenhang fallen im Allgemeinen lobende Begriffe wie informativ, lehrreich, anschaulich erklärt, und nur eine Handvoll Kommentare bezeichnet eine Sendung als zu langweilig. Ein Aspekt, der besonders positiv hervorgehoben wird, ist das Talent der Moderator*innen, Komplexes verständlich aufzubereiten, wie zum Beispiel bei Dirk Steffens (vgl. 14) oder Jim Al-Khalili (vgl. 1). Die Aufbereitung, die an vielen Stellen gelobt wird, wird jedoch vereinzelt auch als zu wenig informationsreich oder zu stark vereinfacht empfunden (vgl. 15). Besonders stark kritisiert wird die Terra X-Sendung Eine kurze Geschichte über… Das Mittelalter mit dem „Neuling“ Mirko Drotschmann, einem jungen YouTuber. Die Sendung wird zum Teil als zu stark vereinfachend für Erwachsene und als zu seicht bezeichnet (vgl. 16).
13. Guter Content! Nicht nur interessant und bildend, sondern auch unterhaltsam.
14. Tolle Sendung, wie immer mit Dirk Steffens, einfach ein richtiger ‘Tausendsassa’, was der alles ‘mit’macht und kann. Seine Moderationen sind lehrreich und dabei humorvoll und witzig!
15. This is a twitter style documentary. 140 characters to describe what takes 140000000 characters
16. Ahja. Tatsächlich kam es auch mir eher wie eine Kindersendung vor. Die Szenen sind ja aus anderen Terra X Sendungen gewesen, die allerdings wesentlich informativer sind.
Die Narration an sich ist nur selten Gegenstand der Kommentare, aber auch hier gibt es nicht nur positive Äußerungen (vgl. 17). Aus medienlinguistischer Perspektive sind auch Kommentare sehr interessant, die sich direkt auf die sprachlichen Details der Narration beziehen. Dies ist jedoch äußerst selten, vermutlich aufgrund der Tatsache, dass das multimodale Kommunikat an anderer Stelle mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht (vgl. Kapitel 2). Alle vier relevanten Kommentare erwähnen die lexikalische Gestaltung der Sendungen, und zwar Wörter, die als Reizwörter[13] bezeichnet werden könnten und in dieser Funktion für Dokumentationen typisch sind (vgl. z.B. Jaki 2019). In den Kommentaren finden die Reizwörter blood, mystery/mysterious, gefährlich und revealed Erwähnung (vgl. 18).
17. Pretentious, bombastic, pompous narration...in the worst, blustering , overwrought BBC production style, which will never lets facts and events simply speak for themselves. Painful to experience.
18. Here’s a good drinking game: drink every time the word part “myst” is mentioned on an “educational” TV program you’re watching.
Zuletzt sollen Aussagen thematisiert werden, die im Rahmen von Kommentaren aus der Kategorie Andere getätigt wurden. Diese Kategorie zielt u.a. darauf ab, mehr über die Wirkung des Gesamtkommunikats zu erfahren. Dies betrifft vor allem Emotionalisierung, die zwar auf der Ebene einzelner Modes entstehen kann, typischerweise aber durch deren Orchestrierung erzeugt wird (vgl. Kapitel 2.2 oder Jaki 2019: passim). Da Emotionalisierung bewusst eingesetzt wird, um das Publikum auf der affektiven Ebene zu erreichen, sind hier beispielsweise Kommentare relevant, die Aufschlüsse darüber geben, ob diese Strategien erfolgreich waren. Vereinzelte Zuschauer*innen berichten, ähnlich wie in der Voruntersuchung, über Emotionen, die durch die Sendungen ausgelöst wurden, entweder allgemein (vgl. 19) oder ganz konkret (vgl. 20).
19. Fantastic! Very moving. Will definitely be watching this again.
20. Hat mich aengstlich und mutlos gemacht ... wo soll man anfangen?
Wie bereits in den Kommentaren, die sich auf konkrete Ebenen des Kommunikats beziehen, gibt es hier einige, die das Niveau der Sendungen aufgrund eines übermäßigen Grades an Dramatisierung kritisieren (vgl. 21). In diesem Zusammenhang fallen auch die Begriffe Hollywood, docudrama und Klischees. Weitere vereinzelte Kommentare lassen darauf schließen, dass manche Zuschauer*innen die Glaubwürdigkeit von Dokus u.a. daran festmachen, ob Professor*innen auftreten (vgl. 22).
21. […] Nobody in the entertainment busines (yes, this is entertainement) thinks that any audience can accept science in its pure form. It has to be dressed up in clown clothes. The same goes for technology.
22. George R. R. Martin is all well and good, but when talking about actual history, couldn't the BBC pull out a proper, tweed-clad Oxbridge Professor from the cupboard?
7. Zusammenfassung der Ergebnisse mit Ausblick
Die Analyse von Social-Media-Kommentaren auf Facebook und YouTube hat allgemein ergeben, dass sich die Kommentare auf eine große Bandbreite von Themen in Bezug auf TV-Dokumentationen beziehen können (vgl. FF1), zum Beispiel den Inhalt, die Expert*innen, aber auch die Gestaltungsmerkmale. Allerdings sind Kommentare zu Letzteren nicht sehr häufig, wie vor allem die Hauptuntersuchung nahelegt (420 von 8736). Es wird deutlich, dass die Sendungen mehrheitlich als Ganze wahrgenommen werden, vor allem in den Parametern informativ/nicht informativ und unterhaltend/langweilig, und nicht zwangsläufig über einzelne Detailstrategien nachgedacht wird.
Im Folgenden soll kurz zusammengefasst werden, auf welche Gestaltungsprinzipien, die im innerfachlichen Diskurs eine bedeutende Rolle spielen, sich die Kommentare der Hauptuntersuchung beziehen (FF1). Die meisten Kommentare zielen auf die Textebene (Informationsgehalt, Vereinfachung, stilistische Charakteristika der Narration), gefolgt von Musik und Ton, dann gefolgt von der Bildebene (v.a. Naturaufnahmen, Reenactment, Text-Bild-Schere) und zuletzt von Kommentaren, die auf Aspekte referieren, die die Gestaltungsstrategien der Kommunikate als Ganze zum Ziel haben (z.B. Emotionalisierung, Glaubwürdigkeit). Die Bewertung der Merkmale auf diesen Ebenen ist heterogen (FF2), wenngleich sich auch vereinzelte Tendenzen feststellen lassen: Allgemein überwiegen negative Kommentare im Vergleich zu positiven leicht. Auf der Ebene des Tons wird die Lautstärke häufig als kritisch und als der Informationsverarbeitung abträglich angesehen. Bezüge auf die Bildebene sind mehrheitlich positiver Art. Das dies jedoch vor allem für Naturdokumentationen charakteristisch ist, kann das Ergebnis nicht für andere Typen von Dokumentationen generalisiert werden. Auch bei den Kommentaren mit Bezug auf die Textebene kommt es leicht überwiegend zu positiven Kommentaren. Sie beziehen sich beispielsweise auf den Informationsgehalt.
Wie die Hauptuntersuchung auch demonstriert, suggerieren die Kommentare, dass sich viele Zuschauer*innen des übergreifenden Prinzips Dokutainment bewusst sind (vgl. FF3). Mehrheitlich wird es als positiv angesehen, dass Dokus Informationen vereinfachen und spannend aufbereiten (vgl. Meyen/Pfaff 2006), einschließlich nachgespielter Szenen, wenngleich sich vereinzelte User*innen weniger Dramatisierung und mehr Wissenschaftlichkeit in der Auswahl und Menge der Informationen sowie der Auswahl der Expert*innen wünschen – dies reflektiert auch die Ergebnisse von Kemmitt Smith (2007).
Diese Ergebnisse sind als grobe Tendenzen einzuordnen, denn es ist wahrscheinlich, dass die Gestaltung von einzelnen Dokus das Ergebnis beeinflusst hat. Beispielsweise hätte es vermutlich kaum Aussagen zu Diskrepanzen zwischen Text und Bild gegeben, wären nicht Kommentare zur Doku The Crusades analysiert worden. Eine weitere Einschränkung dieser Untersuchung ist, dass man durch die User*innenkommentare nur die Meinung eines Teils der Zuschauer*innen abbildet, denn nicht alle Altersgruppen nutzen die sozialen Medien Facebook und YouTube intensiv. Davon unbenommen ist jedoch die Tatsache, dass die Daten wichtige Erkenntnisse zu den eingangs gestellten Fragen liefern, denn sie zeigen, welche Aspekte der Gestaltung von Dokus den Zuschauer*innen überhaupt auffallen. Dass dies insbesondere auf imposante Aufnahmen und laute Hintergrundmusik zutrifft, könnte ein weiterer Indikator dafür sein, dass die Hauptmodes Bild und Ton im Vergleich zum Text ein besonders hohes Potenzial besitzen, die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen auf sich zu ziehen. Auch dass im Gegensatz zum innerfachlichen Diskurs nur sehr selten auf die sprachliche Gestaltung der Narration eingegangen wird, legt dies nahe.
Die Ergebnisse dieses Beitrags bestätigen folglich die Erkenntnisse aus der Fachliteratur zu ähnlichen Formaten bzw. spezifizieren und erweitern sie für TV-Dokus. Hier zeigt sich als neue Erkenntnis, dass die Zuschauer*innen deutlich auf die Interaktion der Modes achten, also auf die qualitative und quantitative Passung zwischen Ton und Sprache und zwischen Text und Bild. Auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Themenbereichen, d.h. dass vor allem Naturdokus gelobt wurden, konnte die Untersuchung herausarbeiten.
Methodisch hat sich gezeigt, dass die Analyse von Social-Media-Kommentaren zu TV-Dokumentationen eine sinnvolle Erweiterung der Rezeptionsforschung bzw. medienlinguistischen Aneignungsforschung im Bereich von Fernsehformaten bieten kann. Um zu belastbareren Ergebnissen zu gelangen, wäre es in Zukunft jedoch günstig, mit größeren Datenmengen zu arbeiten. Aufgrund der mühseligen Arbeit bei der händischen Identifikation von geeigneten Kommentaren wäre hier ein automatisiertes bzw. semi-automatisiertes Vorgehen denkbar. Auch hierfür können die Daten dieser Untersuchung einen hilfreichen Startpunkt darstellen, indem sie beispielsweise einen Eindruck vermitteln, welche Keywords bei der Suche verwendet werden könnten.
Letztlich sind jedoch Social-Media-Kommentare zu Dokumentationen nicht nur forschungsrelevant, sondern können auch von den Betreiber*innen offizieller Social-Media-Accounts neben gängigen etablierten Befragungsmethoden genutzt werden, um mehr darüber zu erfahren, welche Gestaltungsstrategien, Moderator*innen, Themen usw. bei den Zuschauer*innen Anklang finden. Dass dies bereits der Fall ist, hat das Social-Media-Team von Terra X mit Bezug auf dessen Facebook-Account auf Anfrage der Autorin dieses Beitrags bestätigt.
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Schäfer, Mike S. (2017): Wissenschaftskommunikation online. In: Bonfadelli, Heinz/Fähnrich, Birte/Lüthje, Corinna/Milde ,Jutta/ Rhomberg, Markus/Schäfer, Mike S. (Hg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Wiesbaden: Springer VS, 275–293. DOI: 10.1007/978-3-658-12898-2_15.
Shapiro, Matthew A./Park, Han W. (2015): More than entertainment: YouTube and public responses to the science of global warming and climate change. In: Social Science Information 54 (1), 115–145. DOI: 10.1177/0539018414554730.
Statista (2020): Ranking ausgewählter Informationssendungen mit den meisten Fernsehzuschauern in Deutschland im Jahr 2019.
Stöckl, Hartmut (2004): In Between Modes. Language and Image in Printed Media. In: Ventola, Eija/Charles, Cassily/Kaltenbacher, Martin (Hg.): Perspectives on Multimodality. Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins (Document Design Companion Series, 6), 9-30. DOI: 10.1075/ddcs.6.03sto.
Tseronis, Assimakis (2015): Documentary film as multimodal argumentation: Arguing audiovisually about the 2008 financial crisis. In: Wildfeuer, Janina (Hg.): Building Bridges for Multimodal Research. International Perspectives on Theories and Practices of Multimodal Analysis. Frankfurt a. M.: Peter Lang (Sprache – Medien – Innovationen, 7), 325–343.
Anhang
Annotationsrichtlinien
Bitte halte dich bei der Annotation an die folgenden Richtlinien. Zur besseren Verständlichkeit sind mögliche Beispiele angegeben, die so oder ähnlich in diesen Kategorien vorkommen könnten.
Voruntersuchung
(1) Unterscheide alle Kommentare, was die Polarität ihrer Wertung angeht, in den in Excel dafür angelegten Spalten in positiv (Label 1) oder negativ (Label 0).
Positiv: Klassifiziere als positiv, wenn der Kommentar eine positive Beurteilung der Sendung als Ganze oder eines Teilaspekts der Sendung enthält oder wenn eine positive Emotion (wie Freude, Interesse, Rührung) verbalisiert wird. Spannung als Mischemotion ist aufgrund ihrer Erwünschtheit im Fernsehen als positiv einzustufen. Ein Anhaltspunkt können hier beispielsweise positiv konnotierte beschreibende Adjektive, Nomen und Adverbien sein; allerdings können sich Wertungen und Emotionen auch indirekt äußern.
Beispiele: Dirk Steffens ist so charismatisch! | Diese phantastischen Bilder haben mich an meinen letzten Urlaub erinnert. | Diese Doku war wahnsinnig lehrreich.
Negativ: Klassifiziere als negativ, wenn der Kommentar eine negative Beurteilung der Sendung als Ganze oder eines Teilaspekts der Sendung enthält oder wenn eine negative Emotion (wie Traurigkeit, Langeweile, Empörung) verbalisiert wird. Ein Anhaltspunkt können hier beispielsweise negativ konnotierte beschreibende Adjektive, Nomen und Adverbien sein; allerdings können sich Wertungen und Emotionen auch indirekt äußern.
Beispiel: Die Doku ist einfach nur langweilig. | Warum lasst ihr so viele Details aus? | Hört auf mit dieser Klima-Propaganda!
Gemischt: Sollte ein Kommentar sowohl eine positive als auch eine negative Wertung/Emotion enthalten, ist eine Mehrfachzuordnung möglich (also positiv 1 und negativ 1 statt positiv 1/negativ 0 oder positiv 0/negativ 1).
Beispiel: Das Thema ist eigentlich spannend, aber leider verdreht ihr alle Tatsachen.
(2) Unterscheide alle annotierten Kommentare in den in Excel dafür angelegten Spalten nach ihrer inhaltlichen Ausrichtung, d.h. auf welchen inhaltlichen Aspekt sie sich beziehen. Vergib bei Anwesenheit der folgenden Merkmale jeweils das Label 1, bei Abwesenheit jeweils das Label 0.
• Gesamteindruck: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar nicht auf einen spezifischen Aspekt der Sendung bezieht, sondern eine Wertung der Qualität der Sendung als Ganze beinhaltet.
• Beispiel: Großartige Sendung!
• Thema: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar auf das in der Sendung behandelte Oberthema bezieht, z.B. Sonnenstürme, Die Französische Revolution, Künstliche Intelligenz.
• Beispiel: Müsst ihr denn schon wieder eine Doku zum Klimawandel machen?
• Inhalt: Diese Kategorie trifft zu, wenn es um die konkreten behandelten Inhalte der Sendung geht, also die Informationsauswahl und die Korrektheit bzw. Vollständigkeit der Informationen.
• Beispiel: Ihr lügt eure Zuschauer an!
• Expert*in: Diese Kategorie trifft zu, wenn es entweder um den oder die Moderator*in oder die interviewten Expert*innen geht.
• Beispiel: Die Sendungen mit Harald Lesch sind einfach die besten.
• Gestaltung: Diese Kategorie trifft zu, wenn es um die Aufbereitung von Inhalten und Informationen geht, also darum, wie eine Sendung gemacht ist (wie die Sendung gefilmt wurde, ob man die Inhalte versteht, die Aufmachung zu emotionalisierend ist usw.).
• Beispiel: Kann mal jemand die sentimentale Hintergrundmusik abschalten?
NB: Eine Mehrfachklassifikation ist möglich, da sich Kommentare auf mehr als einen Aspekt beziehen können.
Beispiel: Endlich bringt ihr mal eine Sendung über Quantenphysik, aber leider habe ich nicht viel gelernt. Dieses Beispiel würde für Thema (Quantenphysik) und Gestaltung (nicht viel gelernt) das Label 1 erhalten, bei Gesamteindruck, Inhalt und Expert*in das Label 0.
Hauptuntersuchung
(1) Unterscheide alle Kommentare, was die Polarität ihrer Wertung angeht, in der in Excel dafür angelegten Spalte in positiv (Label 1) oder negativ (Label 0).
Positiv: Klassifiziere als positiv (Label 1), wenn der Kommentar eine positive Beurteilung der Gestaltung der Sendung enthält oder wenn diesbezüglich eine positive Emotion (wie Freude, Interesse, Rührung) verbalisiert wird. Spannung als Mischemotion ist aufgrund ihrer Erwünschtheit im Fernsehen als positiv einzustufen. Ein Anhaltspunkt können hier beispielsweise positiv konnotierte beschreibende Adjektive, Nomen und Adverbien sein; allerdings können sich Wertungen und Emotionen auch indirekt äußern.
Beispiele: Diese phantastischen Bilder haben mich an meinen letzten Urlaub erinnert. | Diese Doku war wahnsinnig lehrreich. | Die Hintergrundmusik ist sehr passend zum Thema gewählt.
Negativ: Klassifiziere als negativ (Label 0), wenn der Kommentar eine negative Beurteilung der Gestaltung der Sendung enthält oder wenn diesbezüglich eine negative Emotion (wie Traurigkeit, Langeweile, Empörung) verbalisiert wird. Ein Anhaltspunkt können hier beispielsweise negativ konnotierte beschreibende Adjektive, Nomen und Adverbien sein; allerdings können sich Wertungen und Emotionen auch indirekt äußern.
Beispiel: Die Doku ist einfach nur langweilig. | Die Metapher für die Atomreaktion ist total schief. | Kann mal jemand die sentimentale Hintergrundmusik abschalten?
Gemischt: Sollte ein Kommentar sowohl eine positive als auch eine positive Wertung/Emotion enthalten, vergib das Label 2.
Beispiel: Ranga Yogeshwar erklärt das komplizierte Thema so, dass alles es verstehen können, aber die schnellen Schnitte lenken vom Inhalt etwas ab.
(2) Identifiziere den Themenbereich der Sendung, auf die sich der Kommentar bezieht. Vergib in der entsprechenden Spalte in Excel eines der folgenden Labels: 1 = Geschichte/Archäologie, 2 = Natur, 3 = Naturwissenschaft/Technik.
(3) Identifiziere die Ebene des multimodalen Kommunikats, auf die sich der Kommentar bezieht. Vergib bei Anwesenheit des Bezugs auf die folgenden Ebenen in den in Excel dafür angelegten Spalten jeweils das Label 1, bei Abwesenheit jeweils das Label 0.
• Text: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar auf die rein verbale Ebene bezieht, z.B. ob etwas verständlich erklärt wurde, wie das Voice-over gestaltet ist oder ob die Informationen interessant waren.
• Beispiel: Die vielen verständlichen Erklärungen haben mir gefallen.
• Bild: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar auf die visuelle Ebene bezieht, z.B. die Selektion von Bildern für eine Naturdokumentation oder die Schnitte.
• Beispiel: Die Eisbären waren total niedlich!
• Ton: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar auf Musik oder Geräusche bezieht, z.B. auf die Lautstärke der Tonspur, die verwendete Musik oder nachvertonte Geräusche.
• Beispiel: Kann mal jemand die sentimentale Hintergrundmusik abschalten?
• Andere: Diese Kategorie trifft zu, wenn sich der Kommentar auf die Gestaltung als Ganze bezieht, z.B. auf die Produktionsqualität oder das emotionale Empfinden bei der Rezeption des Gesamtkommunikats.
• Beispiel: Die Doku erinnert ein bisschen an einen Krimi.
NB: Eine Mehrfachklassifikation ist möglich, da sich Kommentare auf mehr als einen Aspekt beziehen können.
Beispiel: Toll gefilmt, aber die Musik ist viel zu schwülstig.
Dieses Beispiel würde für Bild und Ton jeweils das Label 1 erhalten, für Text und Andere jeweils das Label 0.
[1] Die zitierte Literatur stammt streng genommen nicht nur aus dem Bereich der Fernsehdokumentation, sondern auch aus dem des (cinematischen) Dokumentarfilms. Zwar weisen beide Unterschiede auf (z.B. häufig Länge und ästhetische Qualität), bieten jedoch auch zahlreiche Überlappungspunkte, so dass viele Beobachtungen zum Dokumentarfilm auch auf die Fernsehdokumentation übertragen werden können.
[2] Sicherlich wäre zu diskutieren, ob möglicherweise nicht alle Arten von Wissensformaten immer zu einem gewissen Grad auf eine Verhaltensänderung abzielen. Dennoch lassen sich hier gewisse Tendenzen feststellen. So wird eine Dokumentation, die Wissen über die Schlacht von Alesia vermittelt, deutlich weniger auf eine Handlungsänderung abzielen als eine Dokumentation zu Plastik in den Weltmeeren.
[3] Reenactment wird dann eingesetzt, wenn vergangene Ereignisse quasi-authentisch dargestellt werden sollen, und beinhaltet den Rückgriff auf professionelle Schauspieler*innen, die Szenen in historischen Kostümen nachstellen (vgl. Glaser/Garsoffky/Schwan 2012: 38).
[4] Vgl. z.B. den Vorwurf des ehemaligen BBC-Horizon-Redakteurs Peter Goodchild in The Guardian vom 7. Oktober 2004.
[5] Im Gegensatz dazu belegt Kemmitt Smith (2007: 118) jedoch auch, dass einige Teilnehmer*innen, insbesondere Studierende, das Fehlen wissenschaftlicher Daten an Stelle einer zu kindgerechten Handlung monierten.
[6] Hierunter fallen erneut Kommentare, die als beleidigend oder diskriminierend angesehen werden können. Das zuständige Social-Media-Team moderiert das Facebookprofil allerdings aktiv und gibt immer wieder an, Kommentare, die gegen die Netiquette verstoßen, zu löschen.
[7] Diese relativ breite Kategorie bezieht sich auf alle Arten von Dokus, in denen Natur-, Tier- und Landschaftsaufnahmen eine große Rolle spielen.
[8] Diese Kategorisierung ist relativ grob – gerade im Bildbereich lassen sich zahlreiche Einzelmodes wie Schnitte, Kamerabewegung usw. ausmachen. Allerdings wird in den untersuchten Kommentaren meist auf das Bild als Ganzes referiert.
[9] Vgl. auch Bucher (2020) zu einer zum Teil ähnlichen Kategorisierung der Anschlusskommunikation zu Wissenschaftsvideos in YouTube.
[10] Da Naturdokus ausschließlich bei den Facebook-Kommentaren, nicht aber bei den YouTube-Kommentaren vertreten sind und manche Dokus insgesamt überdurchschnittlich viele Kommentare triggern, lässt sich aus diesen Zahlen nicht ablesen, dass sich Social-Media-User*innen stärker motiviert fühlen, auf die Gestaltung von Geschichts- als auf andere Dokus einzugehen.
[11] Zur besseren Lesbarkeit sind die Prozentzahlen im Fließtext auf ganze Zahlen gerundet.
[12] Der Bezug auf „fremde“ Landschaften scheint auch in der Offline-Kommentierung des Fremden in Fernsehsendungen eine Rolle zu spielen (vgl. Klemm 2004: 194).
[13] Kircher (2012: 70): „Mit Reizwörtern, die unmittelbar Gefühle erzeugen, wird vor allem im Journalismus und Marketingbereich gearbeitet, um Aufmerksamkeit bei potentiellen Rezipierenden zu erreichen. Im Bereich Archäologie sind dies Begriffe wie ‚Geheimnis‘, ‚Rätsel‘, ‚Pharaonen‘, ‚Pyramide‘, ‚Troia‘, ‚Atlantis‘, ‚Gold‘, ‚Fürsten‘, ‚Raub‘, ‚Fluch‘ oder ‚Jahrhundertfund‘, die dafür häufig eingesetzt werden.”