Vol 4 (2021), No 1: 8–15
DOI: 10.21248/jfml.2021.45
Rezension
Adamzik, Kirsten/Petkova-Kessanlis, Mikaela (Hg.) (2020): Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Tübingen: Narr Francke Attempto (Europäische Studien zur Textlinguistik, 20). 408 Seiten. € 78,00 ISBN 978-3-8233-8223-2
In ihrem Sammelband zu Phänomenen des Stilwechsels sowie des Stilwandels und ihren Funktionalitäten in Textsorten der Fach-, Wissenschafts- und populärwissenschaftlichen Kommunikationen zielen die Herausgeberinnen Kirsten Adamzik und Mikaela Petkova-Kessanlis, zusammen mit elf weiteren AutorInnen darauf ab, Stil als Phänomen sui generis sowie in seinen textsortenspezifischen und mediums-beeinflussten Ausprägungen zu durchdringen. Sie stellen intradisziplinäre Anschlüsse her
a) zur Fachsprachen- bzw. Fachstilforschung,
b) zu einer textpragmatisch, kulturwissenschaftlich sowie z. T. interkulturell ausgerichteten Textsortenlinguistik bzw. Textstilistik und eröffnen auch
c) medienlinguistische Potenziale, aufgrund der in vielen Beiträgen vollzogenen Reflexionsbereitschaft hinsichtlich des Zusammenhangs von medium und message.
Stil wird dabei in der konzisen Einleitung als so heterogenes wie polyfunktionales Phänomen beschrieben (vgl. 7), das verschiedene Zugänge zulässt. Im Rahmen der Aufsätze findet oft ein Rekurs auf Stil als Handlung (im Sinne u. a. Sandigs 2006) statt und werden einzelne Stilgestalten (vgl. Hoffmann 2017: 31) fokussiert. Dabei bewegt sich die Ausrichtung der Beiträge sowohl auf der Mikroebene und fokussiert einzelne Stilgestalten (die wiederum die Gestaltstruktur eines Textes bilden, so dass über diese Perspektivierung auch wieder ein stilistisches Textganzes erfasst werden kann) als auch auf der Makroebene, wenn z. B. Stilzüge erfasst werden. Alle Beiträge sind an Fragen der Konstitution von wissenschaftlichem Stil, Stilwechseln und z. T. Stilmustermischungen ausgerichtet und konzentrieren sich – bis auf zwei kontrastive Studien – auf den deutschsprachigen Raum.
Nach der erwähnten Einführung der Herausgeberinnen in die Themen sowie Beiträge des Bandes fokussieren Andrea Bachmann-Stein und Stefan Stein in ihrem Text (Stilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung. Ein exemplarischer Vergleich von wissenschaftlicher Grammatik, Grammatik-Lehrbüchern für das Studium und Grammatikhilfen für die Schule und den Alltag) exemplarisch aber umfassend Stilunterschiede in Grammatiken mit unterschiedlicher AdressatInnenfokussierung. Ausgehend von einem an Barbara Sandig ausgerichteten textpragmatischen bzw. interaktionalen Stilverständnis (vgl. 16) liegt ihr Fokus auf textstilistischen Handlungsmustern bzw. stilrelevanten Teilhandlungstypen (vgl. 17). Dabei heben die AutorInnen auch die Gattungsspezifität bzw. -gebundenheit der intendierten Stilwechsel hervor (vgl. 21), so dass z. B. ein Registerwechsel in die Alltagssprache eher bei populärwissenschaftlichen als bei Fachtexten erwartbar wäre (vgl. 21–24). Anhand einzelner, an einem Hochschulpublikum ausgerichteten Grammatiken (vgl. 23–31), den verschiedenen Duden-Auflagen (vgl. 31–45) und einem Grammatikforum (vgl. 45–48) zeigen sie so präzise wie nachvollziehbar synchrone Unterschiede der verschiedenen Stilkonzepte ebenso auf, wie sie – im Kontext des Duden-Teilkorpus – diachrone Stilveränderungen nachweisen und so Veränderungen des Anspruchs und des Selbstverständnisses der Duden-Redaktion interessant aufarbeiten (vgl. 45). Die Unterschiedlichkeit stilistischer Handlungen und Gestaltungsmittel wird dabei adressatenbezogen motiviert bzw. ist diese Perspektivierung zentral.
Der darauffolgende Beitrag von Ines-A. Busch-Lauer (Stilwechsel von der Erkenntnis zur Wissenschafts-PR. Wie man über die Smarte Welt und Virtuelle Realität kommuniziert) schließt mit seiner Korpusauswahl (Gegenstand sind Blogs der i. w. S. Wissenschaftskommunikation) produktiv an den vorangegangenen Beitrag an und untersucht das Phänomen des Stilwechsels in Online-Texten zur Wissenschafts-PR. Ergebnisse ihrer exemplarischen Analysen sind, dass die oft zu findenden Anglizismenverwendungen (nachvollzogen am Ausdruck smart; vgl. 58–62) vielfach semantisch unbestimmt bleiben (vgl. 70), sich die „Textsorte Blog“ (63) durch kommunikative Mehrfachfunktionalität auszeichnet (vgl. 71) und sich oft Stilwechsel vom Schriftlichen ins Mündliche finden lassen (vgl. 71). Dabei bleibt ihr Mündlichkeitskonzept aber eher blass; insbesondere vor dem Hintergrund fehlender Berücksichtigung von z. B. Formen der konzeptionell inszenierten Mündlichkeit (im Sinne etwa von Koch/Oesterreicher 1986). Auch könnte der erste Teil des Textes u. U. durch seine etwas unfokussierte bzw. unstrukturierte Darstellung bei LeserInnen Irritationen hervorrufen. Dabei stellt die Autorin aber insbesondere das Medium ‚Blog‘ produktiv in den Mittelpunkt und verweist konsequent auf die durch das Internet einhergehende Demokratisierung von Wissenschaft (vgl. 53–55).
Ulla Fixʼ anschließender Beitrag (Der Wandel von Denk- und Sprachstilen in der Sprachwissenschaft. Zur Textsorte ‚wissenschaftlicher Aufsatz‘ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) bricht zu einem gewissen Grad mit den Forschungsperspektiven der vorangehenden Artikel, stellt er doch eine diachrone Studie zu stilistischen Veränderungen der Textsorte wissenschaftlicher Aufsatz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Mit Rekurs auf die von Ludwik Fleck ausgearbeiteten Konzepte Denkstil und Denkkollektiv (vgl. 79–80) – Theorieimporte, die die Autorin seit mehreren Jahren zusammen mit anderen LinguistInnen produktiv zu implementieren sucht (vgl. exemplarisch den Sammelband von Andersen/Fix/Schiewe 2018) – beschreibt Fix Texte als soziokulturelle Phänomene der Bewältigung lebensweltlicher Probleme (vgl. 83) und ordnet ihre drei exemplarischen Analysetexte einem Denkkollektiv zu: Einen Aufsatz Leo Spitzers dem neoidealistischen, einen Text Fucksʼ/Lauters dem strukturalistischen und einen Beitrag Sandigs dem pragmatischen Denkkollektiv (vgl. 89–92). Ausgehend von dieser Bestimmung kommt es zur Analyse wissenschaftskommunikativ konstitutiver Stilzüge (vgl. 96–105) mit dem Ergebnis, dass, trotz Ähnlichkeiten und der Zugehörigkeit zur Textsorte wissenschaftlicher Aufsatz, alle Texte „eigene Züge [tragen], die zweifelsfrei durch die Orientierung des jeweiligen Denkkollektivs vorgegeben sind“ (106). Die auch an dieser Stelle nachvollziehbar dargestellte Produktivität der Implementierung von Flecks Ausführungen macht den Beitrag aus und lesenswert. Zugleich verliert sich aber der Mediumsbezug der vorangegangenen Beiträge zu einem gewissen Grad – dies interessanterweise vor dem Hintergrund von Flecks Ausführungen zu einer Textsortentypologie des Wissenschaftssystems, die bestimmte Ausprägungen (z. B. Handbücher oder Zeitschriften) bestimmten Vermittlungsformen wissenschaftlichen Wissens zuordnet (vgl. Fleck 1980: 148–159), auf die Fix keinen Bezug nimmt.
Die Offenheit hinsichtlich interdisziplinärer Theorieimporte zeichnet auch den Beitrag von Patricia A. Gwozdz (Feld und Stil. Textsoziologische Anmerkungen zum Stilwechsel im Subfeld erweiterter akademischer Wissensproduktion der Populär/Wissenschaft am Beispiel der Life Science) im besten Sinne aus, die, mit Rekurs auf u. a. Fleck (vgl. 115), Foucault (vgl. 114) und Luhmann (bzw. dessen BeobachterInnen-Konzept; vgl. 140), aber insb. Bourdieus Feldtheorie (vgl. 114–116), Stilwechsel in populärwissenschaftlichen Texten des Feldes der ‚Life Science‘ bzw. Lebenswissenschaft (vgl. 127) untersucht. Die kontrastive Studie, die vielfach Rekurs auf englischsprachige Texte u. a. Richard Dawkins (vgl. 134–135) nimmt, geht von einem konstitutiven Zusammenhang zwischen Stil- und Feldwechsel aus: „Der Stilwechsel kann demnach einen Feldwechsel vorbereiten oder es aber ermöglichen, dass der Akteur in zwei Feldern gleichzeitig souveräner Sprecher des sprachlichen Tauschs ist“ (121, Herv. i. O.). Dabei spielen auch mediumsbezogene Aspekte eine wichtige Rolle, die die Autorin dergestalt benennt, dass sich die Öffnung der Wissenschaft stets mediumsgebunden ereignet (hat) (vgl. 123–124). Dabei bestimmt die „Wahl des Mediums […] nicht nur die Botschaft, sie kann den Stil und seine Rezeption bereits vorherbestimmen“ (125, Herv. i. O.). Dieser text- wie medienlinguistisch im hohen Maße anschlussfähige Beitrag zeichnet sich zudem durch seine sprachliche Klarheit und, trotz unterschiedlicher theoretischer Zugänge, einen nachvollziehbaren Analysegang aus.
An diese, trotz aller theoretischen Fundierungen, eher an empirischen Analysen ausgerichteten Beiträge schließt ein stärker theoretisierender Text von Matthias Meiler an (Die Präsenz der Person und die Unpersönlichkeit des Wissens. Wissenschaftskommunikation in diskursiven Kommunikationsformen), der sich Fragen des Verhältnisses der Darstellung von Persönlichkeit und Unpersönlichkeit im Rahmen von Wissenschaftskommunikation annimmt. Ausgehend vom wissenschaftlichen Stilideal der Unpersönlichkeit (vgl. 147) reflektiert der Autor zunächst die mediale Spezifität und Kommunikationsstruktur von Blogs, die bestimmte Aspekte der Beziehungsarbeit motivieren (z. B. Grußformeln sowie Ausdrücke von Dankbarkeit; vgl. 151) und zeigt so auf, dass sich das Zusammenspiel aus Unpersönlichkeits- und Persönlichkeitsinszenierungen im Rahmen der Kommunikationsform ‚Blog‘ beschrieben lässt (vgl. 155). Anhand weiterer diskursiver Kommunikationsformen der Wissenschaft thematisiert er zusätzliche Aspekte der Beziehungsarbeit, insbesondere im Rahmen (der kommunikativen Umklammerung) von Vorträgen (vgl. 162–166), Formen des Peer Reviews (im Rahmen der Problematik des face-savings) (vgl. 166–170) und Danksagungen (vgl. 175–178). Dabei liefert der Beitrag nicht nur theoretisch produktive Reflexionen des Aspektes ‚Beziehungsarbeit‘ im Rahmen wissenschaftlicher Kommunikation, sondern kann auch durch umfassende Rekurse auf die Forschungsliteratur überzeugen.
Darauf folgt der Beitrag von Mikaela Petkova-Kessanlis (Unterhaltsames INFOMIEREN in sprachwissenschaftlichen Einführungen) zu Sprachhandlungen des Informierens und Unterhaltens in sprachwissenschaftlichen Einführungen. Der praxisnahe Text entwickelt eine jederzeit nachvollziehbare Typologie der Möglichkeiten zur Erzeugung von informierender Unterhaltsamkeit anhand verschiedener Formen des Stilwechsels (z. B. durch Textsortenwechsel, Kommunikationsformenwechsel, Emotionalisierungen, Abweichungen oder Modalitätswechsel) (vgl. 210–228) und ist schlichtweg interessant (sowie unterhaltsam) zu lesen. Insbesondere das Verhältnis zwischen Informieren und Unterhalten wird dabei in seinen unterschiedlichen Möglichkeitsformen (entweder/ oder, inkludierend oder exkludierend) (vgl. 197–203) deutlich herausgearbeitet und zeigt so die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten sprachwissenschaftlicher Einführungen eindrücklich auf.
Der schon eingeführte Aspekt der Neutralität wissenschaftlichen Stils steht auch in Annely Rothkegels Analyse (Wissenschaftskommunikation ohne und mit Stil: die Internetplattform der Wissenschaftsjahre) der angeblichen Stillosigkeit von Wissenschaftskommunikation anhand der vom BMBF gegründeten Internetplattform der Wissenschaftsjahre (2010 bis 2018) im Vordergrund. Dabei wird vor allem die Frage fokussiert, „ob es erkennbar ist, dass Fragen des Stils bzw. der Stilbildung in einer so verstandenen Wissenschaftskommunikation eine Rolle spielen“ (242–243). Im Rahmen eines kommunikationstheoretischen Ansatzes (vgl. 247) wird Aspekten des Stil- als Gestaltungswillens nachgegangen. Ergebnis der interessanten Studie ist, dass die Gesamtstruktur (Makroebene) der Internetplattform keinen individuellen Stilwillen erkennen lässt und sich an den Charakteristika des Mediums selbst orientiert (vgl. 253). Dieser strukturellen Mediumskonformität (vgl. 264) steht aber eine erkennbare Stilbildungsintention auf Mikroebene gegenüber (vgl. 264), wobei vor allem ein „‚semantisches Jonglieren‘“ (257) zwischen fachlichen, nicht-fachlichen und alltagssprachlichen Elementen auszumachen ist, das am Beispiel der Verwendung des Lexems ‚Zukunft‘ (als Fach- wie Alltagsbegriff) (vgl. 259) nachvollzogen wird.
Christiane Thim-Mabrey und Maria Thurmair („Da haben wir ihn, den Schachtelsatz!“ Zur Überprüfbarkeit normativer Einstellungen zum wissenschaftssprachlichen Stil) setzen den empirischen Bezug des Bandes auf interessante Weise weiter fort und präsentieren Ergebnisse einer Studie im Rahmen eines Seminars (vgl. 283), in der Dozierende hinsichtlich ihrer normativen Einstellungen zum Wissenschaftsstil befragt wurden. Die Relevanz des Analyseansatzes wird aus Forschungsliteratur ebenso wie aus Befragungen abgeleitet, die deutlich machen, dass die Fachsprachlichkeit hinsichtlich der Bewertung von Texten eine große Rolle spielt (vgl. 272–281). Damit einher geht die Frage der Überprüfbarkeit, welche normativ kodierten Aspekte für Bewertungen eine Rolle spielen und, „ob sich in bestimmten häufig in Seminararbeiten zu beobachtenden sprachlichen Auffälligkeiten langfristig ein Weg zu einem Wandel der Stilnormen der Wissenschaftssprache anbahnt“ (283). Abgefragte Merkmale lagen auf den Ebenen der Syntax, des Fachwortschatzes, des allg. Stils und Wortschatzes sowie der sprachlichen Korrektheit, wobei den ersten beiden Aspekten die größte Bedeutung zukam (vgl. 287–288). An die transparent dargestellten Ergebnisse schließen in hohem Maße produktive methodologische Reflexionen an, die vor allem darauf verweisen, dass man Befragte umfassend zu Wort kommen lassen sollte und die Fachzugehörigkeit als konstitutive Variable zu berücksichtigen hat (vgl. 294–295).
Im Rahmen seines Beitrages (Stilwechsel an der Schnittstelle von sachbezogener zu emotionaler alltäglicher Fachkommunikation – am Beispiel der Online-Textsorte Forumsbeitrag) schließt Thomas Tinnefeld konstruktiv an jenen Themenstrang des Bandes an, der die Konstitutions- wie Veränderungsprozesse der Fach- und Wissenschaftskommunikation vor dem Hintergrund der Relevanz sog. Neuer Medien reflektiert, indem er Stilwechsel (sach- zu emotionsbezogen) anhand von Texten des Forums ‚Gute Frage‘ (vgl. 305) in den Blick nimmt. Auch er rekurriert auf die Mediumskonstituiertheit wissenschaftlicher Kommunikation, die er bezogen auf seinen Forschungsgegenstand mit dem Konzept der Alltags-Fachsprachlichkeit zu fassen sucht (vgl. 306). Er spannt dabei die von ihm beobachteten Stilwechsel zwischen den Polen Gemein- und Fachsprache in vielfältigen Ausprägungen auf (vgl. 309–322) und betont die Bedeutung von Emotionalität als Motor für Stilwechsel. Dahingehend unterscheidet er produktiv zwischen sachorientierten und kommunikationsorientierten Funktionen (wobei ersteres ein Streben nach inhaltlicher Exaktheit und Enkodierungsökonomie meint und sich letzteres u. a. auf die Vermeidung von Missverständnissen, die Markierung von Introspektion, die Solidarisierung oder Erleichterung bezieht) (vgl. 324-328). Schließlich zeichnet sich seine interessante Typologisierung noch durch treffende Beispiele aus.
In der zweiten kontrastiven Analyse des Bandes (Grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit im Wissenschaftsdiskurs. Interkulturelle Schreibpraxen und Stilwechsel am Beispiel von Lerntexten französischer Studierender im Deutschen als Fremdsprache (Universität der Großregion/UniGR)) geht es Elisabeth Venohr um die Analyse von Stilausprägungen von im Studium produzierten LernerInnentexten, in denen Deutsch als fremde Wissenschaftssprache zum Einsatz kommt (vgl. 343). Ausgangspunkt ihrer Studie, in der Analyseaspekte eher exemplarisch berührt werden, ist der Standort bzw. das Konzept der Universität Großregion (bestehend aus 6 Universitäten in 4 Ländern) (vgl. 331–332), die, aufgrund konstanter kultureller wie sprachlicher Grenzüberschreitungen, eine Form des „dritten Diskursraum[s]“ (333) ausgebildet hat. Verortet in den Paradigmen einer interkulturellen Textsortenlinguistik (vgl. 336) sowie einer Contrastive Rhetoric (vgl. 336–337) analysiert die Autorin exemplarisch drei Einleitungen hinsichtlich prototypischer wie spezifischer stilistischer Besonderheiten (vgl. 343). Ergebnis ihrer interessanten Analysen sowie Reflexionen ist die Kultur- und Sozialisationsgebundenheit wissenschaftlichen Schreibens und damit verbunden die notwendige Aufforderung, „bereits in der Lehre, insbesondere in grenzüberschreitenden, mehrsprachigen Studiengängen […] eine noch höhere „academic cultural awareness““ (351) auszubilden, der aufgrund ihrer Ausführungen nur gefolgt werden kann.
Der Sammelband schließt mit einem hervorragenden Beitrag (Stilwandel wissenschaftlichen Schreibens am Beispiel der Entwicklung von Zitationskonventionen in medizinischen Originalarbeiten) von Sabine Ylönen zum Stilwandel (anhand von Zitationsstandards) in medizinischen Fachtexten der Zeitschrift Deutsche Medizinische Wochenzeitschrift zwischen 1884 und 1999 (vgl. 363). Die Autorin hat insgesamt 80 Texte hinsichtlich einer eigens aufgestellten Typologie zwischen den Polen ‚vage Quellenhinweise‘ (Angabe der Namen der KollegInnen oder andere Hinweise) und ‚exakte Quellenhinweise‘ (Literaturverzeichnis, Fußnoten, Literaturverweise im Text und Eponyme) (vgl. 365) analysiert. Sie kommt zu dem erwartbaren Ergebnis, dass vage Quellenhinweise insgesamt abnehmen, während exakte Quellenhinweise eher zunehmen. Insbesondere die Vielgestaltigkeit der sich erst im Laufe der Zeit standardisierenden Zitationsweisen wird transparent herausgearbeitet. Zudem arbeitet die Autorin textstrukturelle Interdependenzen auf, so z. B. zwischen der Etablierung von Literaturverzeichnissen und der Zunahme exakter Quellenhinweise (vgl. 379). Auch dass der Umfang angegebener Quellen lange Zeit überschaubar war, um ab 1964 sprunghaft zuzunehmen (im selben Jahr kommt es zur Standardisierung des Literaturverzeichnisses), wird produktiv mit einem Paradigmenwechsel des Wissenschaftsverständnisses begründet. Hervorzuheben ist neben den vielfach hervorragend gewählten Beispielen die gelungene Visualisierung des Beitrages.
Insgesamt schließt der Sammelband in produktiver Weise an bestehende Forschungsfelder der Fachsprachen- und Wissenschaftskommunikationsforschung sowie der Textlinguistik und Textstilistik an. Aus einer medienlinguistischen Perspektive können viele Beiträge ebenfalls konstruktiv rezipiert werden, wird doch von den AutorInnen der Zusammenhang von Stilwechsel und Medium, in dem sich diese vollziehen, vielfach reflektiert. Dabei liegt der Fokus vornehmlich auf dem Konzept der Textsorte. Unter Umständen hätte man eine noch größere konzeptionelle Vielfalt erwarten können, um die beispielhaft genannten Ausprägungen (Blogeinträge, Kommentare etc.) z. B. als Kommunikationsformen o. ä. zu beschreiben. Dies schmälert den Wert des Bandes aber nicht, der durch seinen hohen Grad an Interdisziplinarität sowie seine theoretische, methodische und forschungsobjekt-bezogene Vielfalt überzeugt. Insbesondere das Verhältnis bzw. die Interdependenz von medium und message wird vielgestaltig expliziert bzw. reflektiert und stellt auch die Mediumssensibilität textlinguistischen Arbeitens umfassend unter Beweis.
Sowohl TextlinguistInnen, FachsprachenforscherInnen als auch MedienlinguistInnen seien daher zur Lektüre des Bandes aufgerufen, der die produktive Öffnung linguistischer Subdisziplinen (in diesem Fall vornehmlich der Textlinguistik und Textstilistik) aufzeigt.
Literatur
Andersen, Christiane/Fix, Ulla/Schiewe, Jürgen (Hg.) (2018): Denkstile in der deutschen Sprachwissenschaft. Bausteine einer Fachgeschichte aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie Ludwik Flecks. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Fleck, Ludwik (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Erstpublikation 1935. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Hoffmann, Michael (2017): Stil und Text. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.
Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf (1986): Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch 36, 15-43.
Sandig, Barbara (2006): Textstilistik des Deutschen. Berlin, New York: Walter de Gruyter Verlag.