Vol 5 (2023), No 1: 34—69
DOI: 10.21248/jfml.2023.47
Gutachten und Kommentare unter: https://dp.jfml.org/2021/opr-ylonen-soziale-medien-als-funfte-gewalt-strategische-organisation-deutscher-und-finnischer-gegenredekampagnen-auf-facebook/
Soziale Medien als fünfte Gewalt: Strategische Organisation deutscher und finnischer Gegenredekampagnen auf Facebook
Abstract
Social media, as the fifth estate, increasingly influence public discourses and play a major role in shaping public opinion. Undoubtedly, they have the potential to promote participation and democracy. On the other side, they also constitute a risk for democratic societies, as the spread of hate speech and fake news has shown. As a response, forms of counterspeech organised by civil society have emerged in social media to counter the normalisation of hate speech and democracy-threatening discourses. In order to influence discourse in social media in terms of the fifth estate, counterspeech campaigns must be visible also quantitatively. In this ethnographic contrastive study, I analysed the activities of the German and Finnish Facebook groups of the network #iamhere international. The intensity and continuity of their activities is obviously influenced by their strategic organisation: conventionalised rules support them whereas lacking or inconsequent rules seemed to be counterproductive.
Keywords: social media, fifth estate, hate speech, democracy-threatening discourses, counterspeech
1 Soziale Medien als fünfte Gewalt[1]
Soziale Medien sind heute zentrale Arenen privater und öffentlicher Meinungsbildung (vgl. Saresma 2017: 219). Sie erlauben den Nutzer*innen, sich über digitale Plattformen in hoher Geschwindigkeit mit großer Reichweite zu vernetzen und somit eine neue digitale Öffentlichkeit zu gestalten. Diese digitale Öffentlichkeit ist inzwischen zu einer neuen Kontrollinstanz geworden, die auch als fünfte Gewalt bezeichnet wird. Bunz zufolge sehen „mehr Augen mehr“, was von Vorteil sei, weil es der Gefahr einer zu wohlwollenden Berichterstattung über Politiker*innen, also einer zunehmenden Deckungsgleichheit politischer und medialer Öffentlichkeit entgegenwirken kann (Bunz 2012: 165, 166). Sie schlussfolgert
Eine neue Gewaltenteilung dient damit auch einer demokratischen Funktion. Begrüßen wir also eine zweite, digitale Öffentlichkeit, betrieben durch die flinken Finger der Bürger, die bewaffnet mit Tastatur, Rechner und unterstützt von Algorithmen der ersten Öffentlichkeit zur Seite getreten ist – als fünfte Gewalt. (Bunz 2012: 166, Hervorh. von SY)
Wie Burkhard (2015) formuliert, verändert sich „durch (Laien)-Kommunikatoren in den heterogenen Öffentlichkeiten des Social Web […] das massenmediale Diskursmonopol des Journalismus“. Als Beispiele führt er die durch soziale Medien initiierten Fälle des Rücktritts prominenter Politiker*innen (Guttenberg, Schavan, Wulff) an. (Burkhard 2015: 122) Auch Politiker*innen bedienen sich inzwischen häufiger des direkten Kommunikationsweges sozialer Medien, sind also nicht mehr nur auf die Berichterstattung journalistischer Medien angewiesen.
Die Kehrseite des Demokratisierungspotentials sozialer Medien ist die Entwicklung einer häufig hasserfüllten Debattenkultur, in der unter Verweis auf die Meinungsfreiheit früher tabuisierte Inhalte und Sprache enttabuisiert und akzeptiert werden. Soziale Medien bieten Plattformen zur Verbreitung von Hass, Hetze und Desinformationen und stellen damit eine ernstzunehmende Gefahr für demokratische Gesellschaften dar (Dumbrava 2021; Kneuer 2017; Knuutila/Kosonen/Saresma/Haara/Pöyhtäri 2019; Landsberg 2021; Schwarz/Holnburger 2018: 35). An Diskussionen in sozialen Medien können sich prinzipiell alle beteiligen. Ähnliche Kontrollmechanismen wie in journalistischen Medien gibt es nicht. Soziale Medien ermöglichen die virale Verbreitung enttabuisierter Inhalte über digitale Netzwerke, erleichtern die Organisation Gleichgesinnter in sogenannten Echokammern und begünstigen durch ihre Algorithmen die Entstehung von Filterblasen, in denen den Nutzer*innen Inhalte angeboten werden, die ihrer Suchhistorie und den Likes angepasst sind und die Wahrnehmung der Stimmungslage in einer Gesellschaft verzerren können (vgl. Zweig/Deussen/Krafft 2017; Montag 2018: 33). Da rechtspopulistische Politiker*innen und ihre Anhänger*innen soziale Medien überproportional nutzen (Lucht/Udris/Vogler 2017; Knuutila 2019: 4), kann der Eindruck entstehen, es handle sich um Einstellungen, die von der breiten Masse getragen werden.
Allerdings werden Meinungen beeinflussende und politische Manipulationen auch mit Hilfe von gekauften Fake-Accounts betrieben (Davis/Hindman/Livingston 2019; Hübscher 2020). Trollfabriken oder Social Bots können Wahlergebnisse beeinflussen, die weitreichende Folgen haben, wie im Falle der Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA oder dem Brexit (Egli/Rechsteiner 2017: 250). Kreißel/Ebner/Urban/Guhl (2018) fanden in ihrer Studie zu Hate Speech auf Facebook heraus, dass 5 % der Accounts für 50 % der Likes für herabwürdigende Kommentare verantwortlich waren. Sie wiesen darauf hin, dass Inhalte aus Kampagnen extremistischer Organisationen im gesellschaftlichen Diskurs „salonfähig“ gemacht werden können, wenn sie von Politiker*innen und Medien aufgegriffen werden (Kreißel et al. 2018: 25). Diese Tendenz des Salonfähig-Machens durch Verschiebung der Sagbarkeitsregeln wird von der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres aufgegriffen, die Ausdrücke wie „Sozialtourismus“ (2013), „Anti-Abschiebe-Industrie“ (2018) oder „Pushback“ (2021) wählten. Wodak (2018) spricht in diesem Zusammenhang von schamloser Normalisierung.[2] Öffentliche Diskurse werden auch deshalb zunehmend durch soziale Medien beeinflusst, weil Journalist*innen dort hohe Aufmerksamkeit erreichende und besonders skandalisierende Diskussionen gerne aufgreifen.
Als Antwort auf wuchernde Hassrede in Kommentarspalten traditioneller Online-Medien und auf anderen Plattformen sozialer Medien bildeten sich aber auch Gruppen, die einer Normalisierung aggressiver und hasserfüllter Debattenkultur mit Gegenrede entgegentreten. Laubenstein/Urban (2018: 55) weisen darauf hin, dass „nur wenige Organisationen eine Netz-Strategie konzipiert oder eine nennenswerte Präsenz in den sozialen Medien zu haben“ scheinen. Die Ausarbeitung von Netz-Strategien und die Präsenz von Gegenredekampagnen hängt natürlich davon ab, welche Ressourcen die Aktionsgruppen (deren Mitglieder sich ehrenamtlich engagieren) und insbesondere ihre Administrator*innen und Moderator*innen haben.
Um den Diskurs in den Kommentarspalten sozialer Medien beeinflussen zu können, muss Gegenrede auch quantitativ sichtbar sein. Zu den bekanntesten Initiativen für organisierte Gegenrede gehören die des Netzwerks #iamhere international. Anfängliche Beobachtungen zweier Gruppen des Netzwerks, der deutschen und der finnischen, vermittelten den Eindruck, dass sie sich in der Sichtbarkeit ihrer Aktivitäten stark unterscheiden. Den Ursachen für diese Unterschiede auf die Spur zu kommen, war Ziel vorliegender kontrastiver Studie. Dabei wurde von der Annahme ausgegangen, dass die strategische Organisation der Gruppenaktivitäten einen Einfluss auf ihre Intensität und Kontinuität und damit auf die Sichtbarkeit der Gegenrede hat.
2 Gegenrede
Das Ziel der Gegenredegruppen des Netzwerks #iamhere international ist, den öffentlichen Diskurs in sachlicher und empathischer Weise zu beeinflussen, damit der Eindruck von in der Gesellschaft vorherrschenden Einstellungen nicht verzerrt wird. Allgemein gilt Gegenrede (finn. vastapuhe, engl. counterspeech) als Antwort der Zivilgesellschaft auf Hassrede und Extremismus (Bartlett/Krasodomski-Jones 2015, Laubenstein/Urban 2018, Quent 2018). Zollner (2022) nennt dazu explizit außerdem Fake News und Verschwörungsmythen, denen durch Counterspeech begegnet wird. Gegenrede wird i. d. R. als reaktiv verstanden, als Reaktion von Mitgliedern der Zivilgesellschaft auf hasserfüllte, schädliche oder gefährliche Äußerungen (Benesch et al. 2016: 2; Bojarska 2018: 15), kann aber auch proaktiv aufgefasst werden, z. B. als Fürsprache für Mitglieder diskriminierter Gruppen (Warnke 2021, Zollner 2022).
Allerdings gibt es keine allgemein verbindliche, sondern in Abhängigkeit vom Kontext unterschiedliche Definitionen für Hassrede. Scharloth (2017b: 97) bezeichnet Hassrede als eine „Sonderform der Herabwürdigung“, die darin bestehe „dass man einer Person eine soziale Identität zuschreibt, die von der Mehrheit der Gesellschaft negativ beurteilt wird, eine unwerte, moralisch verwerfliche oder randständige Identität.“ Er fährt fort:
Im Unterschied zu anderen Formen der Herabwürdigung liegt Hate Speech dann vor, wenn die Herabwürdigung ihre herabwürdigende Kraft daraus bezieht, dass eine Person als Vertreterin einer Gruppe adressiert wird und ihr negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die dieser Gruppe vermeintlich kollektiv, universell und unveränderbar zukommen.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) definiert Hassrede als
das Befürworten und Fördern von oder Aufstacheln zu jeglicher Form von Verunglimpfung, Hass oder Herabwürdigung einer Person oder Personengruppe […], ebenso wie jegliche Belästigung, Beleidigung, negative Stereotypisierung, Stigmatisierung oder Bedrohung einer Person oder Personengruppe und die Rechtfertigung der genannten Äußerungen, die aufgrund der „Rasse“,[Fußnote] Hautfarbe, Abstammung, nationalen oder ethnischen Herkunft, des Alters, einer Behinderung, der Sprache, der Religion oder der Überzeugung, des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Geschlechtsidentität, sexuellen Orientierung oder anderer persönlicher Eigenschaften und Statusmerkmale getätigt werden. (ECRI 2016: 3)
In ähnlicher Weise definiert auch Facebook Hassrede in den Gemeinschaftsstandards
als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Kaste, Geschlecht, Geschlechtsidentität, ernsthafte Erkrankung oder schwere Behinderung. Auch der Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder menschenverachtende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszugrenzen oder zu isolieren. (Facebook o. D.)
Benesch (2014: 5) unterscheidet Hassrede (hate speech) und gefährliche Rede (dangerous speech). Auch sie betont, dass es keine einheitliche Definition für Hassrede gibt und dass nicht jede Form von Hassrede gefährlich ist, wenngleich sie hässlich, beleidigend und verletzend sein kann. Als gefährliche Rede bezeichnet sie eine besondere Form von Rhetorik oder von Äußerungen, die destruktive Führer nutzen, um eine Gruppe von Menschen zur Gewalt gegen eine andere Gruppe aufzuhetzen, wobei gefährliche Rede nicht unbedingt hasserfüllt sein muss (Benesch 2017). Allerdings kann sich Hassrede zu gefährlicher Rede entwickeln, wie Victor Klemperer (1946/1990) in seinem „LTI – Notizbuch eines Philologen“ anschaulich dokumentiert hat.
Im engeren Sinne wird Hassrede, wie von Scharloth oder ECRI, über Gruppenbezug definiert, d. h. von Hassrede betroffen können nur Vertreter*innen von Minderheiten oder anderen Gruppen sein, die aufgrund herrschender Machtverhältnisse diskriminiert werden (Geyer 2021: 168–169). Im Projekt „Towards Balance and Boundaries in Public Discourse: Expressing and Perceiving Online Hate Speech (XPEROHS)“[3] wurden beispielsweise Ethnophaulismen (pejorative Bezeichnungen für ethnische Gruppen) (Geyer 2021) und entmenschlichende Metaphern (Geyer 2023) untersucht.
Im weiteren Sinne können auch Vertreter*innen verschiedener Berufsgruppen und Institutionen (Regierung, Politiker*innen, Polizei, Jurist*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, staatliche und kommunale Behörden oder Hilfsorganisationen) und pauschal solche Gruppen von Hassrede betroffen sein (Knuutila/Kosonen/Saresma/Haara/Pöyhtäri 2019). Mit organisierter Hassrede gegen diese Zielgruppen sollen öffentliche Diskurse und politische Entscheidungen gezielt beeinflusst werden, z. B. welche Beschlüsse Entscheidungsträger und Beamte fällen, worüber Journalist*innen schreiben, woran Wissenschaftler*innen forschen und welche Ergebnisse sie veröffentlichen oder welche Straftaten Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen untersuchen und verurteilen (Knuuttila et al. 2019, Pöyhtäri/Haara/Raittila 2013). Wenn sich beispielsweise Kommunalpolitiker*innen aufgrund massiver Hassbotschaften und Bedrohungen aus dem kommunalpolitischen Geschäft zurückziehen, wird letztlich die Demokratie unterhöhlt (Heinrich Böll Stiftung 2021), was die Macht sozialer Medien als unrühmlicher fünfter Gewalt besonders deutlich macht.
In Publikationen der Robert Bosch und Amadeu Antonio Stiftungen wird Hassrede noch weiter gefasst und auf Faktenbezug ausgedehnt. Neben herabwürdigenden oder gar hetzerisch-aggressiven Kommentaren gegen Gruppen oder Einzelne werden hier auch die Verbreitung von Falschinformationen (s. z. B. Robert Bosch Stiftung 2018: „700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge“), das Leugnen wissenschaftlich anerkannter Tatsachen und Verschwörungsmythen zu Hassrede gezählt (Amadeu Antonio Stiftung 2013). Schwarz/Holnburger (2018: 39) weisen darauf hin, dass mit Fake News gezielte Desinformationen verbreitet werden, die Hassrede und die Herausbildung extremistischer Weltbilder fördern und beispielsweise demokratische Wahlen beeinflussen können.
Hassrede wird also zunächst aus sprachkritischer Perspektive als durch Sprechakte oder Kommunikationsverfahren wie Herabwürdigung, Verunglimpfung, Belästigung, Beleidigung, negative Stereotypisierung, Stigmatisierung oder Bedrohung gekennzeichnet verstanden, wobei es hauptsächlich um Diskriminierung marginalisierter Gruppen (oder Angehöriger dieser Gruppen) geht. Auch Facebook betont die Rolle der Sprache („gewalttätige oder menschenverachtende Sprache“). Des Weiteren kann Hassrede aus diskurskritischer Perspektive über Inhalte (Rassismus, Falschmeldungen, Verschwörungstheorien usw.) oder durch die Bedrohung bestimmter Berufsgruppen und Institutionen (oder ihrer Vertreter) als demokratiegefährdend charakterisiert und definiert werden. Entsprechend kann Gegenrede aus sprach- und diskurskritischer Perspektive betrachtet werden. Tatsächlich wurde die Frage, was wichtiger ist, Form oder Inhalt, in der deutschen #ichbinhier-Gruppe intensiv diskutiert, wie in teilnehmender Beobachtung der Gruppenaktivitäten festgestellt werden konnte. Nicht alle Gruppenmitglieder waren beispielsweise mit einer Aktion einverstanden, die den damaligen Parteivorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, verteidigte, als dieser Zielscheibe von Hohn und Spott wurde, nachdem ihm beim Baden die Sachen gestohlen wurden und er in seiner Badehose zur Polizeistation laufen musste. Allerdings waren solche Aktionen zur Verteidigung rechtspopulistischer Politiker die Ausnahme und die meisten Aktionen konzentrierten sich auf Themen wie Rassismus und Diskriminierung. Die Analyse von Triggerdiskursen und Strategien für Gegenrede ist jedoch Gegenstand einer anderen Untersuchung.
Marx (2019) fasst Hate (Speech) und Fake News als Konstituenten einer Sagbarkeitstopographie auf, denen eine Verrohung und Verschiebung bzw. Erweiterung des Sagbarkeitsfeldes gemein ist. Da Gegenrede nicht nur Hass und Hetze entgegentritt, sondern auch Falschnachrichten, Verschwörungsmythen, dem Leugnen wissenschaftlich anerkannter Tatsachen und extremistischer Propaganda, die allesamt Gefahren für demokratische Gesellschaften darstellen, könnte die Definition für Gegenrede somit auch erweitert werden als: Antwort der Zivilgesellschaft auf die Verschiebung des Sagbarkeitsfeldes in Richtung einer Verrohung von Sprache und Normalisierung demokratiegefährdender Diskurse. Diese Definition wird einer begrifflichen Trennschärfe besser gerecht als die von dem Begriffspaar Gegenrede – Hassrede ausgehende und umfasst gleichermaßen sprachliche und inhaltliche Aspekte.
In vorliegender Studie konzentriere ich mich auf Faktoren, die die Sichtbarkeit von Gegenredekampagnen in sozialen Medien beeinflussen und somit eine die Demokratie verteidigende Funktion haben können, speziell auf die strategische Organisation von Gegenrede in der deutschen und finnischen Gruppe des Netzwerks #iamhere international. Dieses Netzwerk besteht aus 14 privaten Facebookgruppen aus 20 Ländern in 12 Sprachen und mit ca. 150.000 Mitgliedern. Die Initiative zur Gründung des Netzwerks kam von Mina Dennert, die am 13. Mai 2016 die erste schwedische Gruppe #jagärhär gründete, die über 71.000 Mitglieder hat (31.1. 2022). Die zweite Gruppe wurde von Hannes Ley am 18.12.2016 gegründet: #ichbinhier hat über 42.000 Mitglieder (31.1.2022). Die finnische Gruppe #olentäällä wurde am 19.2.2017 von Tarita Memonen gegründet und hat über 2.000 Mitglieder (31.1.2022). Im Vergleich zum September 2020 haben die schwedische und die deutsche Gruppe beide rund 2.000 Mitglieder verloren, wohingegen die finnische Gruppe rund 300 neue Mitglieder gewinnen konnte.
Die Ziele des Netzwerks #iamhere international sind u. a., sich Hassrede, Trolling, Misinformation, Intoleranz, Rassismus, Homophobie und anderer Diskriminierung entgegenzustellen, Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit zu verteidigen, und zwar in einer respektvollen, offenen, empathischen, höflichen und sachlichen Art (iamhere international o. D.). Zum Kernkonzept der Aktionsgruppen gehört Peersupport (Persönliche Mitteilung von Tarita Memonen am 12.11.2020), d. h. die Mitglieder unterstützen sich in den Kommentarspalten gegenseitig durch Kommentare und Likes. Auf diese Weise sollen die sachlichen Kommentare der Gruppenmitglieder in den Kommentarspalten weiter nach oben rücken und sichtbarer werden als hasserfüllte oder unsachliche Kommentare (Laubenstein/Urban 2018: 60), um somit den stillen Mitleser_innen […] ausgewogene Meinungen zu vermitteln (Laubenstein/Urban 2018: 59). Auch wenn die Gruppen aus unterschiedlichen Ländern gemeinsame Ziele und Werte teilen, unterscheiden sie sich in der Art ihrer zivilgesellschaftlichen Organisiertheit, was auch Auswirkungen auf ihren Bekanntheitsgrad und die Sichtbarkeit ihrer Gegenredeaktionen hat. Beispielsweise waren in der deutschen Gruppe 12 Teams verantwortlich für die Organisation aller Aktivitäten, wie die Teams Erweiterter Leitungskreis, Chronik, Lagerfeuer, Mitgliederempfang, Patinnen usw. Diese Teams wurden 2018, 2019 und 2020/2021 in sogenannten Vorstellungsabsackern[4] vorgestellt und in den Dateien der Facebook-Gruppe dokumentiert. In der finnischen Gruppe konnte eine solche Organisation durch Teams, die für spezifische Aufgaben verantwortlich zeichnen, nicht festgestellt werden. Bereits im Mai 2017 wurde die Gründung eines gemeinnützigen Vereins ichbinhier e. V.[5] angekündigt, der die deutsche Facebook-Aktionsgruppe in administrativen und organisatorischen Angelegenheiten unterstützen und u. a. für Öffentlichkeitsarbeit, Schulungs- und Beratungsangebote zuständig sein sollte. Eingetragen wurde der Verein am 4. August 2017.[6] Die deutsche Aktionsgruppe erzielte große mediale Aufmerksamkeit und wurde mehrfach ausgezeichnet, wohingegen die finnische Gruppe in Finnland weniger bekannt ist. Bisher gibt es nur drei jeweils kurze sachliche Erwähnungen der #olentäällä-Gruppe, die mit einiger Mühe über Suchmaschinen gefunden werden können: eine durch die schwedisch-finnische Nachrichtenagentur Yle svenska in einem Bericht über Mina Dennert (Smederevac 2017), eine weitere in einem Schulungsmaterial zum Umgang mit Hassrede (Tommila 2017: 9, 22) und die dritte in einer Publikation des Justizministeriums (Ekholm/Tuokkola/Luhtasaari 2018: 18).[7] Leichter auffindbar sind Erwähnungen der Gruppe in verschiedenen rechtsextremistischen Foren und ein Artikel der „alternativen“ Magneettimedia, einer ursprünglichen Gratiszeitung der J. Kärkkäinen Oy (einer finnischen Warenkette), die heute als Internetpublikation verbreitet wird und berühmtberichtigt wurde durch ihre rassistischen und antisemitischen Texte. Nur sie widmete der #olentäällä-Gruppe einen ganzen Artikel unter dem Titel #OlenTäällä – DDR-Stasi-tyylinen painostusryhmä facebookissa; havainnot (#OlenTäällä – Eine Lobby-Facebookgruppe im Stil der DDR-Stasi; Beobachtungen) (Vieraskynä 2019). Seriöse Medien berichteten bislang nicht über die #olentäällä-Gruppe (Persönliche Mitteilung von Tarita Memonen am 19.9.2020). Einen Verein zur finnischen Gruppe gibt es nicht.
Bei der teilnehmenden Beobachtung der Aktivitäten der deutschen und der finnischen Gruppe des Netzwerks fiel auf, dass die deutsche Gruppe außerordentlich aktiv war, die finnische dagegen eher inaktiv. Um die Ursachen für diese unterschiedliche Intensität und Kontinuität der Aktivitäten beider Gruppen zu untersuchen, wurde vorliegende kontrastive Studie durchgeführt. Speziell wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Intensität und Kontinuität der Aktivitäten von ihrer strategischen Organisation abhängen.
3 Material und Methoden
Ausgangspunkt für vorliegende kontrastive Analyse waren ethnografische teilnehmende Beobachtungen (Fiebertshäuser/Panagiotopoulou 2010, Hammersley/Atkinson 2007, Pentzold 2015) der Aktivitäten der deutschen und finnischen Facebookgruppen des Netzwerks #iamhere international über einen längeren Zeitraum. Durch m. o. w. regelmäßiges Verfolgen der Aktivitäten und Teilnahme an Aktionen der Facebookgruppen #ichbinhier und #olentäällä von 2017 bis 2019 wurden Unterschiede in der Intensität und Kontinuität ihrer Aktivitäten festgestellt. Um diese Unterschiede systematisch zu untersuchen, erfolgten ab 2020 intensivere teilnehmende Beobachtungen verschiedener Formate beider Gruppen und des Vereins ichbinhier (Aktionen, Diskussionen, Bootcamps, Online-Konferenzen und Webinare) sowie Korrespondenz mit ihren Mitgliedern und mit den Gründer*innen der finnischen, deutschen und schwedischen Gruppen des Netzwerks #iamhere international. Konsultiert wurden außerdem die Dateien der Facebook-Gruppen mit Informationen zu ihren Arbeitsweisen. Für die systematische Analyse wurden manuell alle Postings der #ichbinhier-Gruppe von Juni bis August 2020 und der #olentäällä-Gruppe von Januar bis August 2020 dokumentiert. Insgesamt handelte es sich um 737 Postings beider Gruppen. Die Untersuchungszeiträume unterscheiden sich für beide Gruppen, da die Aktivitäten der deutschen Gruppe relativ hoch und konstant waren, während die der finnischen Gruppe insgesamt niedriger waren und stärker variierten. Das Material wurde zunächst von Anfang Juni bis Ende August 2020 gesammelt. Da es in der finnischen Gruppe in dieser Zeit relativ wenige Aktivitäten gab, wurden ihre Postings rückwirkend bis Anfang Januar 2020 aufgerufen und dokumentiert. Die systematische Dokumentation umfasste Angaben zur Art der Aktivitäten (Aktionen oder andere) sowie zu Datum und Titel des Postings in einem Excel-Dokument. Für Aktionen wurden das Medium (ZDF, Bild, Helsingin Sanomat, Yle etc.), der URL des Gruppenpostings und die Zahl der Kommentare notiert. Ausführlichere Informationen, wie die Anmoderationstexte der Gruppenpostings und einige Kommentare unter den Postings wurden sukzessive ergänzt für den Fall, dass die geposteten Inhalte später nicht mehr zugänglich wären. Bis heute (November 2022), sind nur einige der Postings nicht mehr online, besonders solche die sich auf Facebookseiten von RT Deutsch bezogen, offensichtlich weil die EU die Verbreitung staatlicher russischer Medien im Februar 2022 verbot.
Um die Rolle organisatorischer Netz-Strategien für die Intensität und Kontinuität der Gruppenaktivitäten zu untersuchen, wurde die gruppeninterne strategische Organisation der Aktivitäten der deutschen und finnischen Facebookgruppen des Netzwerks #iamhere international auf der Basis ihrer Postings analysiert und verglichen. Speziell wurde untersucht, welche Art von Aktionen und anderen Postings es gab und inwiefern sich für diese Postings Gruppenregeln, die einen Einfluss auf die Intensität und Kontinuität der Aktivitäten haben können, konventionalisiert hatten (s. Kap. 4.2).
Alle Übersetzungen vom Finnischen ins Deutsche stammen von mir (SY).
4 Ergebnisse
4.1 Intensität und Kontinuität der Aktivitäten der Facebook-Aktionsgruppen #ichbinhier und #olentäällä
Die Aktivitäten können grob in Aktionen, Mitgliederaktionen und andere Postings unterteilt werden. Aktionen sind Postings, die von den Moderator*innen gepostet bzw. freigegeben werden, und die auf den Ort, d. h. auf die Kommentarspalten sozialer Medien, aufmerksam machen, an denen Gegenrede benötigt wird. Mitgliederaktionen sind – wie der Name sagt – Aktionen, die von den Mitgliedern vorgeschlagen werden. Zu diesem Zweck werden von den Moderator*innen in der deutschen Gruppe sogenannte Lagerfeuer angezündet, in der finnischen sogenannte Feuerlöscher gepostet. Unter diese Postings konnten die Mitglieder Aktionsvorschläge zu Kommentarspalten machen, in denen sie Hilfe benötigten. Die unterschiedlichen Metaphern bezeichnen die Arbeitsweise: Ein Lagerfeuer wurde in der deutschen Gruppe täglich „angezündet“, „brannte“ den ganzen Tag über und wurde am Abend „gelöscht“, d. h. es wurden von den Mitgliedern täglich zahlreiche Aktionsvorschläge gepostet, während ein Feuerlöscher nur selten gepostet wurde (s. Tab. 1) und die Metapher auf akuten Hilfebedarf hinweist (zu den Metaphern s. a. Kap. 4.2.2). Daneben gab es vielfältige andere Postings, z. B. Informationen und Moderationshinweise oder Mitgliederdiskussionen.
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#ichbinhier |
#olentäällä |
Zahl der Aktionen |
269 |
152 |
Zahl der Mitgliederaktionen (Lagerfeuer/Feuerlöscher) |
82 |
11 |
Zahl der anderen Postings |
147 |
76 |
Gesamtzahl der Postings |
498 |
239 |
Tabelle 1: Anzahl der Aktivitäten der Facebookgruppen #ichbinhier und #olentäällä.
Abbildung 1: Durchschnittliche Zahl der Aktivitäten von #ichbinhier und #olentäällä pro Monat.
Erwartungsgemäß wurden am häufigsten Aktionen gepostet. Eine einfache Division der Postings durch die Zahl der Monate zeigte, dass auf #ichbinhier täglich durchschnittlich drei Aktionen und zusätzlich fast jeden Tag eine Lagerfeuer-Aktion gepostet wurden, während es auf #olentäällä nicht jeden Tag Aktionen und nur rund eine Feuerlöscher-Aktion pro Monat gab (s. Abb. 1). Auch die Zahl anderer Postings unterschied sich in beiden Gruppen stark: Sie war in der #ichbinhier-Gruppe in nur drei Monaten fünfmal so hoch wie in der #olentäällä-Gruppe in acht Monaten.
Die Zahl der Mitgliederaktionen, in denen Mitgliedervorschläge für Aktionen gepostet werden können, unterschied sich in beiden Gruppen am stärksten: Lagerfeuer-Postings betrugen das Zweiundzwanzigfache der Feuerlöscher-Postings. Unter den 82 Lagerfeuer-Postings der untersuchten drei Monate von #ichbinhier gab es zudem insgesamt 22.301 Kommentare, was eine durchschnittliche Kommentarzahl von 272 pro Lagerfeuer ausmacht. In diesen Kommentarzahlen waren jeweils zwei bis sieben Hinweise der Feen und Elfen (die die Lagerfeuer moderierten) enthalten, z. B. zum Tool oder den Paten. Das Tool war eine App, die von den Feen und Elfen des Lagerfeuers genutzt wurde, um Links zu den Gegenrede-Kommentaren der Mitglieder an einem Ort zusammenzufassen. Dieses Tool zeigte die jeweils letzten 200 Kommentare an, die aktualisiert wurden, sobald neue Kommentare hinzukamen. Über das Tool konnte die Vergabe von Likes optimiert werden. Das Ziel des Tools war, die Kommentare der Gruppenmitglieder mit so vielen Likes zu versehen, dass sie von den Facebook-Algorithmen in den Kommentarspalten nach oben gepusht würden, um ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. 2021 sperrte Facebook diese Möglichkeit, was in der Gruppe auf großes Bedauern stieß. Die Paten waren eines der 12 Teams der #ichbinhier-Gruppe, bestehend aus ehrenamtlichen Mitgliedern (wie alle Moderator*innen und Administrator*innen der Gruppe), an die sich neue Mitglieder wenden konnten, um Hilfe bei der Orientierung innerhalb der Gruppe und zur Beteiligung an den Aktivitäten zu erhalten. Nach diesen einleitenden Tipps konnten Gruppenmitglieder Links zu Facebook-Postings von Medienhäusern posten, auf denen sie Unterstützung (zum Verfassen von Gegenredekommentaren und/oder Likes) brauchten. Diese Links wurden als Top-Level-Kommentare (TLK) gepostet und waren i. d. R. begleitet von Angaben zum Medium, der Uhrzeit und dem Thema, was das Akronym MUT ergibt, s. Beispiel 1.
1. Medium: RTL aktuell, Uhrzeit: 9:45, Fünf Jahre ‚Wir schaffen das‘, viele Merkel-Hasser, Link.
Ein Aktionsvorschlag hatte im
Schnitt fünf Sub-Level-Kommentare (SLK) mit Links zu den jeweiligen
Gegenrede-Kommentaren der Mitglieder. Diese Links wurden entweder von den
Kommentator*
innen selbst oder (wenn diese mobil kommentierten) von den Feen und Elfen
eingestellt. Die Zahl der von den Mitgliedern täglich geposteten
Aktionsvorschläge war in der deutschen Gruppe enorm (Stichproben ergaben 40–90
Aktionen pro Tag).
Die elf Feuerlöscher-Aufrufe in acht Monaten auf #olentäällä erhielten insgesamt nur 46 Kommentare, was 4,2 Kommentare pro Feuerlöscher-Aufruf ergibt, wobei auch hier regelmäßig Hinweise der Moderator*innen enthalten waren, aber nur selten Mitgliedervorschläge für Aktionen. Aktionsvorschläge von #olentäällä-Mitgliedern waren dagegen in einigen Fällen unter eigentlichen Aktionen zu finden, und zwar zu solchen Facebookseiten anderer Medien, die dasselbe Thema der jeweiligen Aktion behandelten. Z. B. wurden unter einer Aktion zu den Black-Lives-Matter-Demonstrationen auf den Facebookseiten der Abendzeitung Iltalehti weitere Links zu Seiten weiterer Medienhäuser (der anderen führenden Abendzeitung Iltasanomat und zu Yle TV, dem Fernsehsender der finnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Yleisradio) gepostet, auf denen dasselbe Thema behandelt wurde.
Auch in der Kontinuität der Aktivitäten beider Gruppen waren große Unterschiede feststellbar. Während in der deutschen #ichbinhier-Gruppe täglich verschiedene Postings zu verzeichnen waren, variierte die Zahl der Aktivitäten in der finnischen #olentäällä-Gruppe stark (s. Abb. 2). Nur von Januar bis Mitte März gab es hier beinahe täglich ein oder mehrere Postings.
Abbildung 2: Tatsächliche Verteilung der Aktivitäten von #ichbinhier (Juni–August) und #olentäällä (Januar/Juni–August) 2020.
Eine Erklärung dafür, weshalb die Aktivitäten in der finnischen #olentäällä-Gruppe zu Beginn des Jahres 2020 verhältnismäßig hoch waren, ist, dass die Gruppe zu Beginn des Jahres viele neue Mitglieder erhalten hatte: Von Anfang Januar bis zum 19. Februar wurden in neun Willkommenspostings insgesamt 412 neue Mitglieder begrüßt (Ende Dezember waren es 1.555 Mitglieder, am 19.2.2020 1.967). Das starke Absinken der Aktivitäten ab Mitte März ist auf die Folgen der Coronapandemie zurückzuführen und im Juli und August gab es kaum noch Aktivitäten, wofür neben Corona auch die Urlaubszeit verantwortlich war (Persönliche Mitteilung von Tarita Memonen am 19.9.2020). Auch in der deutschen #ichbinhier-Gruppe war von Juni bis August ein leichter Rückgang der Aktivitäten zu verzeichnen, der auch hier mit der Urlaubssaison zusammenhängt. Vom 23.-29. Juli machte die Gruppe Betriebsferien, d. h. in dieser Zeit wurden keine Aktionen gepostet und auch das Lagerfeuer brannte auf Sparflamme. Auch wenn aufgrund der hier untersuchten drei Monate keine verlässlichen Aussagen zur Kontinuität der Aktivitäten über einen längeren Zeitraum gemacht werden können, kann ich aus den Erfahrungen meiner teilnehmenden Beobachtungen sagen, dass die Aktivitäten der #ichbinhier-Gruppe auch vor dem hier untersuchten Zeitraum insgesamt keinen größeren Schwankungen unterlagen, wenngleich z. B. die Zahl der täglichen Gegenredeaktionen (die das „Kerngeschäft“ der Aktionsgruppen sind) von einer bis zu acht variierte.
4.2 Strategische Organisation der Aktivitäten in den #ichbinhier- und #olentäällä-Gruppen
Im Folgenden wird untersucht, wie Aktionen, Mitgliederaktionen (Lagerfeuer und Feuerlöscher) und andere Postings organisiert wurden, d. h. welche Regeln für sie in den beiden Gruppen #ichbinhier und #olentäällä entwickelt wurden und inwieweit diese Regeln konventionalisiert waren. Das Schwergewicht liegt dabei auf den Aktionen, dem „Kerngeschäft“ der Aktionsgruppen.
4.2.1 Aktionen
Aktionen wurden daraufhin untersucht, wer sie postete, auf welche Orte sie abzielten, inwiefern die Aktionen weiter kategorisiert wurden und wie weitgehend Anmoderationstexte und Mitgliederkommentare konventionalisiert waren (s. Tab. 2).
In der deutschen Gruppe wurden (mit Ausnahme der Urlaubswoche im Juli 2020) bis zu acht Aktionen täglich, in der finnischen nur in den drei ersten Monaten des Jahres 2020 zuweilen mehr als eine Aktion gepostet. Die Aktionen wurden in der #ichbinhier-Gruppe nur von Moderator*innen gepostet, während es in der #olentäällä-Gruppe sowohl von Moderator*innen als auch von Mitgliedern gepostete (und zeitverzögert von den Moderator*innen freigegebene) Aktionen gab.
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#ichbinhier |
#olentäällä |
Umfang/Erscheinen |
Täglich 1-8 (außer an 7 Urlaubstagen im Juli 2020) |
Sporadisch seit Mitte März 2020 |
Autoren der Aktionspostings |
Moderator*innen |
Moderator*innen und Mitglieder (von Moderator*innen freigegeben) |
Zielort |
Kommentarspalten der Facebookseiten großer Medienhäuser mit mehr als 10.000 Follower*innen |
Kommentarspalten der Facebookseiten großer und kleiner Medien, Facebookseiten anderer Gruppen und von Politiker*innen, Twitter |
Kategorisierung |
Explizit mittels Überschriften: Aktion 1, 2, 3 …, Brennpunkt, Solidaritätsaktion, Aktion International |
Keine Überschriften außer im Falle von internationalen Aktionen: kansainvälinen tehtävä! |
Anmoderation |
konventionalisiert, ausführlich, reaktiv |
Variabel, kurz, reaktiv und proaktiv |
Mitglieder-kommentare |
Links zu Mitglieder-kommentaren TLK und SLK (Top- und Sublevel Kommentare) oder Bitte um Verlinkung, keine inhaltlichen Kommentare |
T, K, I (L, K, M – Like, Kommentar, Meldung), inhaltliche Kommentare und Diskussionen bis Anfang Juni 2020 sowie weitere Aktionsvorschläge der Mitglieder (meist zum selben Thema auf anderen Facebook-Medienseiten) |
Tabelle 2: Übersicht über die strategische Organisation der Aktionen der Gegenredekampagnen #ichbinhier und #olentäällä.
In der deutschen Gruppe konzentrierten sich die Aktionen auf die Kommentarspalten von Facebookseiten reichweitenstarker Medien mit mehr als 10.000 Follower*innen. In der finnischen Gruppe gehörten nicht nur Facebookseiten großer Medienhäuser, sondern auch andere Facebook-Gruppen sowie Seiten von Parteizeitungen, Politiker*innen und der Regierung, kleineren Unternehmen und Twitter zu den Zielorten. Erst Anfang Juni 2020 gab es hier einen Moderationshinweis, in dem gesagt wurde, dass Aktionen in Kommentarspalten öffentlicher Medien und entsprechender Einrichtungen, aber nicht auf den Profilseiten einzelner Personen gestartet werden.
Die Aktionen wurden in der deutschen Gruppe pro Tag nummeriert (Aktion 1, 2, 3 …) oder mit Überschriften versehen, die auf den Zielort der Aktion deuteten (Brennpunkt, Solidaritätsaktion). Brennpunkte waren Aktionen auf Seiten, auf denen Hasskommentare dominierten und ausuferten (wie bei RT Deutsch). Hier wurden die Kommentierenden darauf hingewiesen, dass von ihnen besondere Nervenstärke gefordert sei und sie ihre Privateinstellungen kontrollieren sollten, um sich vor Angriffen zu schützen. In Ausnahmefällen gab es sogenannte Solidaritätsaktionen auf den Seiten bekannter Personen, Personengruppen oder Initiativen (Karl Lauterbach, BAP, Polizei Berlin, UNICEF Deutschland, Knorr usw.). Eine ähnliche Kategorisierung von Aktionen wie bei #ichbinhier war in der #olentäällä-Gruppe nicht festzustellen. Eine Nummerierung der Aktionen war in der finnischen Gruppe auch nicht nötig, da i. d. R. nicht mehrere an einem Tag und ab Mitte März überhaupt nur noch selten Aktionen gepostet wurden.
Eine Gemeinsamkeit beider Gruppen war die Teilnahme an einer überschaubaren Zahl von internationalen Aktionen des Netzwerks #iamhere international, die als Aktion international / kansainvälinen tehtävä gekennzeichnet wurden (im hier untersuchten Material nahm #ichbinhier an vier und #olentäällä an sechs solcher Aktionen teil).
Die Anmoderationstexte zu Aktionen waren in der #ichbinhier-Gruppe stark konventionalisiert (Beispiel 2), während sie in der #olentäällä-Gruppe variierten (Beispiele 3-9).
2. Liebe Gruppe, […] unsere sechste Aktion heute führt uns zur Seite der FAZ (Achtung Wortfilter) […] Lasst uns gerade hier respektvoll, empathisch, sachlich und differenziert in den Diskurs einsteigen. […] Da es in letzter Zeit doch sehr emotional zuging, hier der Hinweis: Wir wollen eine anständige Diskussionskultur fördern, aber niemanden belehren oder gar beleidigen. Bitte diskutiert sachlich und lasst euch nicht provozieren. […] (Hervorh. von SY)
Die deutschen Anmoderationstexte waren relativ lang und nutzten schematische Formulierungen, die sich in allen Postings mit teilweise nur kleinen Variationen wiederholten, z. B. sachlich in die Diskussion einzusteigen (meist werden daneben auch empathisch, differenziert und respektvoll erwähnt), sich nicht für die Gruppe #ichbinhier zu rechtfertigen und sich nicht provozieren zu lassen. Diese Einleitungstexte glichen sich von Aktion zu Aktion. Die Verwendung von Ausdrücken wie „gerade hier“ und „in letzter Zeit“ (s. Beispiel 2) verloren in meinen Augen durch die schematische Wiederholung mit der Zeit an Überzeugungskraft. Weitere Hinweise der Moderator*innen folgten in den ersten drei Top-Level-Kommentaren unter den Aktionspostings, und zwar erstens Tipps für Neueinsteiger mit Links zu den Dateien der Gruppe und zweitens ein Glossar, in dem wichtige Begriffe der #ichbinhier-Gruppe (Aktion, Brennpunkte, Lagerfeuer, TLK, SLK, Tools, Verlinken usw.) definiert wurden. Manchen Aktionen wurde der Warnhinweis Achtung Wortfilter! vorangestellt, den einige Medienhäuser (z. B. Spiegel, ZDF, Tagesschau) benutzten, um Hassrede automatisch zu löschen. Im Glossar wurde u. a. erklärt, was ein Wortfilter ist und ein Link zu einem Tool angegeben, mit dem man seine Texte vor dem Posten daraufhin prüfen konnte, ob er im Filter hängen bleiben und gelöscht werden wird.[8] Danach schloss sich drittens ein Info-Thread mit Links zu Seiten an, auf denen Hintergrundwissen zum jeweiligen Thema des Medienberichts zu finden war (z. B. Faktenchecks oder offizielle Statistiken), was von den Moderator*innen als nützliche Hilfe für sachliches Kommentieren empfohlen wurde.
Die Einleitungstexte in der finnischen Gruppe waren dagegen gewöhnlich sehr kurz und individuell formuliert (s. Beispiele 3-9).
3. Tänne myös apuja.
Hier wird auch Hilfe gebraucht.
4. Kommenteissa vihapuhetta, rasismin vähättelyä ja naureskelua henkilölle, joka kertoo kokemastaan rasismista.
In den Kommentaren Hassrede, Bagatellisierung und Belächeln eines Menschen, der über selbst erlebten Rassismus berichtet.
5. Kommentit uhkuu käsittämätöntä vihaa lapsia kohtaan. Meitä tarvitaan täällä.
Die Kommentare triefen vor unglaublichem Hass Kindern gegenüber. Wir werden hier gebraucht.
6. Arvaatte varmaan jutun kommentit....
Ihr könnt euch bestimmt die Kommentare dazu vorstellen….
Über dem Link zu den Kommentarspalten steht oft nur, dass Hilfe benötigt wird, und zwar häufig in umgangssprachlicher Form (s. Beispiel 3). Alternativ fungiert manchmal die Angabe des Grundes für die Aktion implizit als Aufruf zur Hilfe (s. Beispiel 4). Häufig sind die Aufrufe zur Hilfe wertend und sehr emotional gefärbt (s. Beispiel 5). Das eigentliche Thema des Medienberichts wird nur selten explizit erwähnt und manchmal mit einem wertenden Kommentar versehen (Beispiel 6). Ein weiterer Unterschied zur #ichbinhier-Gruppe war, dass in der #olentäällä-Gruppe nicht nur reaktive, sondern auch proaktive Aufrufe zu Aktionen gepostet wurden, was in den Einleitungen hervorgehoben wurde (s. Beispiele 7-9).
7. Olkaa siellä ennen trolleja.
Seid dort vor den Trollen.
8. Ennakoin!
Ich sehe vorher!
9. K & T inb4 öyhöttäjät löytää sen 😉.
K (Kommentar) & L (Like) inb4 es die Schreihälse finden 😉.
Warnhinweise auf Wortfilter gab es in den Anmoderationstexten für #olentäällä-Aktionen nicht. Auf Nachfrage bei der für Online-Diskussionen zuständigen Stelle der größten finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat erfuhr ich, dass finnische Medienhäuser keine „absurden“ Wortfilter („älyöttömiä“ sanasuodattimia), sondern menschliche und algorithmische Moderation einsetzten (persönliche Mitteilung von HS.fi/Jarkko am 23.2.2023). Als „absurd“ wurden solche Listen für Wörter, durch die Kommentare im Filter hängenbleiben, bezeichnet, weil sie den Kontext nicht berücksichtigen.
Für Mitgliederkommentare unter Aktionen gab es bei #ichbinhier strenge Regeln, bei #olentäällä scheinen sich gewisse Regeln erst langsam zu entwickeln. Diese Regeln wurden in der deutschen Gruppe in den ersten Kommentaren zu einer Aktion vorgestellt und schlossen Diskussionen unter den Mitgliedern aus (s. Beispiel 10).
10. #ichbinhier ist eine Aktionsgruppe und wir wollen es unseren Mitgliedern so einfach wie möglich machen, an den Aktionen teilzunehmen. Deshalb ist innerhalb der Aktions-Spalten Übersichtlichkeit sehr wichtig – in den Aktionen finden also keine inhaltlichen Diskussionen statt“ Bitte halte dich unbedingt daran. […]
Die Mitglieder hielten sich an diese Regeln: Kommentare unter #ichbinhier-Aktionen bestanden aus Mitteilungen „TLK“ (Top-Level-Kommentar) oder „SLK“ (Sub-Level-Kommentar) mit den entsprechenden Links zu diesen Mitgliederkommentaren unter den Facebook-Beiträgen der Medienhäuser oder mit der Bitte um Verlinkung durch die Moderator*innen. Diese Hinweise dienten dazu, die Kommentare von #ichbinhier-Gruppenmitgliedern in den Kommentarspalten schneller zu finden, um sie liken oder kommentieren zu können. Diskussionen gab es hier nicht.
In den Kommentarspalten unter Aktionen von #olentäällä fanden sich dagegen auch ausführliche (auch kontroverse) Diskussionen über die in den Medienberichten behandelten Themen (teilweise mit Links zu Quellen, die die eigene Argumentation stützen sollten) oder über die Art der Kommentare unter diesen Medienberichten (s. Beispiel 11).
Ohoho. Das artet wirklich manchmal in echte Arbeit aus. Warum schalten diese Medienhäuser eigentlich nicht einfach automatische „Spamfilter“ auf diese ihre Seiten?
Die Mitglieder wurden von den #olentäällä-Moderator*innen nur dazu angehalten, ein „T“ (tykkäys – Like) und/oder „K“ (kommentti – Kommentar) anzugeben, wenn man sachliche Kommentare in den Kommentarspalten der Medienhäuser gelikt oder selbst kommentiert hatte. Auch hierbei war die Absicht, anderen Mitgliedern zu zeigen, dass sie unterstützt wurden. Diese Likes und Kommentare wurden bisweilen ergänzt durch Aufforderungen, die Kommentare von Gruppenmitgliedern zu unterstützen (s. Beispiel 12).
12. K&T. Siellä on nyt pari hyvää ryhmäläisten kommenttia ja niiden kommentteja, joista kannattaa käydä tykkäämässä ❤:llä.
K&L. Dort gibt’s jetzt ein paar gute Mitgliederkommentare und Kommentare dazu (Sub-Level-Kommentare), die es sich lohnt, mit einem ❤ zu liken.)
Nur in seltenen Fällen wurden auch Links zu den eigenen Kommentaren gepostet, zum Teil ebenfalls begleitet von Bitten um Unterstützung (s. Beispiel 13).
13. Ehkä tuohon mun pitkään voisi joku sipaista jotain alle 😉. Myös kriittisiä vastakommentteja asiapohjalta jotte ei mene yksipuoliseksi: Link
Vielleicht könnte jemand dort unter meinen langen Kommentar was ergänzen 😉. Auch kritische faktenbasierte Gegenkommentare damit es nicht einseitig wird: Link
Neben Verweisen zu eigenen Kommentaren und Likes wurde manchmal auch angegeben, dass bestimmte Kommentare gemeldet wurden, was durch I oder ilmianto oder ilmoitus (Meldung) markiert wurde (s. Beispiele 14 und 15).
14. ilmianto raiskauspuheelle
Meldung von Vergewaltigungsrede
15. monta x T + 2 ilmoitusta FB:lle, toinen tuotti tuloksen, eli kommetti poistettiin.
viele x L + 2 Meldungen an FB, eine mit Erfolg, also der Kommentar wurde gelöscht.
Wie bereits weiter oben in Kapitel 4.1 erwähnt, fanden sich daneben auch Links zu Berichten anderer Medienseiten, wo über dasselbe Thema berichtet wurde (s. Beispiel 16), wobei die Hinweise manchmal mit wertenden Aussagen zur Art der dortigen Kommentare versehen wurden (s. Beispiel 17)
16. Täällä keskustelua samasta aiheesta Ilta-sanomien fb-sivulla: Link
Hier Diskussion zum selben Thema auf der FB-Seite der Ilta-sanomat: Link
17. Myös US:n sivuilla "keskustelua" asiasta, meno on sakea 😮 K&T Link
„Diskussion“ zum Thema auch auf den Seiten von US, hier geht’s voll düster ab 😮 K&L Link.
In Beispiel 17 wurde die wertende Aussage durch Sperrdruck (unter Verwendung von Leerzeichen) und erstaunten Smiley noch besonders hervorgehoben.
In den Kommentarspalten unter #olentäällä-Aktionen gab es weiterhin auch Kommentare zur Wirksamkeit der eigenen Kommentartätigkeit, häufig verbunden mit Dank an die Mitstreiter*innen für ihren Einsatz (s. Beispiele 18-20).
18. Kiitos ja kumarrus teille, jotka olette kommentoineet asiallisesti. 🙏🏻❤ Kommenttiosiot ovat alkaneet kummasti siistiytyä.
Dank und Verbeugung vor euch, die ihr sachlich kommentiert habt. 🙏🏻❤ Die Kommentarspalten sind erstaunlich sauber geworden.
19. Asialliset kommentit nousivat hienosti, kiitos kaikille!
Sachliche Kommentare sind fein nach oben gestiegen, danke allen!
20. Kiitti kaikille, me taidettiin voittaa tää peli 🙂
Danke allen, wir scheinen das Spiel gewonnen zu haben 🙂
Auch lobende Kommentare für Medienhäuser, die ihre Kommentarspalten moderierten, fanden sich (s. Beispiel 21, HS ist die Abkürzung für die Helsingin Sanomat, die größte finnische Tageszeitung).
21. Kylläpäs on hyvin siivottu ketju. Oho. Hs:lle ruusuja!
Wirklich gut gesäubert die Kommentarspalte. Oho. Rosen für die HS!
Andererseits wunderte man sich darüber, dass auch Kommentare der #olentäällä-Mitglieder gelöscht wurden (s. Beispiel 22).
22. Kun nyt taas menin katsomaan kommentteja, niin eipä sitä Sinunkaan kommenttia siellä enää näkynyt sitten missään...
Als ich mir die Kommentare jetzt noch mal angeschaut habe, war auch Dein Kommentar nirgends mehr zu sehen…
Diskutiert wurde unter #olentäällä-Aktionen auch manchmal, wie schwer es ist, die Regeln einzuhalten, z. B. vor allem Top-Level-Kommentare zu posten, (s. Beispiel 23), was von anderen entschuldigend kommentiert wurde (s. Beispiel 24). Auch wie schwer es ist, empathische, wohlwollende, anteilnehmende und verantwortliche Diskussionen zu führen, wurde thematisiert (s. Beispiel 25).
23. Mulla lähti jo laukalle enkä osannut tehdä omia aloituksia :D
Bei mir ging’s schon ab und ich konnte keine eigenen Auftakte machen :D
24. XY[9] ei se mitään. Pääasia on tietysti, että asiallisia kommentteja on enemmän kuin epäasiallisia. Fiksut kommentit nousevat kuitenkin paremmin esille omina kommentteinaan.
XY macht nichts. Hauptsache ist natürlich, dass es mehr sachliche Kommentare gibt als unsachliche. Kluge Kommentare stechen als TLK allerdings besser hervor.
25. Mulla meni sarkastiseksi, jotenkin vain lipsahti... Täytyy varmaan pitää taukoa, ettei sorru asiattomuuksiin, nyt vaan turhauttaa joka ei ole hyvä lähtökohta asialliselle keskustelulle 😔
Bin sarkastisch geworden, ist mir irgendwie nur so rausgerutscht… Muss bestimmt ne Pause machen, dass ich nicht in Unsachlichkeiten verfalle, jetzt ist es nur frustrierend was kein guter Ausgangspunkt für eine sachliche Diskussion ist 😔
Erst Anfang Juni wurde von den Moderator*innen darauf verwiesen, dass in den Kommentarspalten unter Aktionen keine inhaltlichen Diskussionen geführt werden sollten und entsprechende Kommentare gelöscht würden (s. Beispiel 26).
26. Ylimääräiset, ryhmän tarkoitukseen liittymättömät kommentit voidaan poistaa.
Überflüssige, dem Zweck der Gruppe nicht entsprechende Kommentare können gelöscht werden.
Während in der deutschen Gruppe konventionalisierte Regeln auf allen Ebenen des Postens von und Reagierens auf Aktionen gefunden wurden, schienen sich in der finnischen Gruppe einige Regeln, die den Charakter der Gruppe als Aktionsgruppe (und nicht Diskussionsgruppe) betonen sollten, erst langsam herauszubilden.
4.2.2 Mitgliederaktionen (Lagerfeuer und Feuerlöscher)
Für Mitgliederaktionen (Lagerfeuer- und Feuerlöscher-Postings) wurden ebenfalls unterschiedliche organisatorische Strategien festgestellt (s. Tab. 3). Die finnische Bezeichnung palovaroitin (Feuerlöscher) ist die Übersetzung des in der schwedischen Gruppe verwendeten Begriffs brandläckare (auch in der britischen Gruppe #iamhere UK wird der Begriff Fire Estinguisher verwendet). Mit der Feuerlöscher-Metapher wird darauf angespielt, dass es sich bei den Postings um akute Hilfegesuche handelt. Demgegenüber weist die Lagerfeuer-Metapher auf ein kontinuierlich mit Aktionsvorschlägen zu „fütterndes“ Forum hin. Das Lagerfeuer wurde täglich um 6:00 Uhr „angezündet“ und „brannte“ den ganzen Tag über, bis es spät abends von den Moderator*innen, die als „Feuerhüterinnen“ bezeichnet wurden, „gelöscht“ wurde (s. Beispiel 27).
27. Für heute löschen wir das Lagerfeuer, morgen früh findet ihr dort wieder Unterstützung durch unsere Feuerhüterinnen.
Wie in Kap. 4.1 festgestellt, wurden die Lagerfeuer von #ichbinhier i. d. R. täglich angezündet, während es in der #olentäällä-Gruppe in den untersuchten acht Monaten nur insgesamt 11 Aufrufe zur Einreichung von Aktionsvorschlägen gab, von denen sieben im Januar gepostet wurden, einer im Februar, zwei im März und einer im Juni.
|
#ichbinhier |
#olentäällä |
Bezeichnung |
Lagerfeuer |
variierend, Feuerlöscher seit Ende Januar 2020 |
Kontinuität/Intensität |
täglich |
sporadisch |
Zielort |
Facebookseiten sogenannter Massenmedien jeglicher Coleur |
keine Angaben in den Anmoderationstexten |
Anmoderation |
regelmäßige Angabe ausführlicher konsistenter Regeln |
sporadische Angabe variierender Regeln |
Diese Aufrufe zu Mitgliedervorschlägen wurden in der finnischen Gruppe erst ab dem sechsten Aufruf Ende Januar als Feuerlöscher bezeichnet. Davor gab es die für Aufforderungen ein Parkverbotsschild mit einem Kopf, aus dessen Mund Hassrede kam in einer Sprechblase: !@$%“&, und diese Hassrede war durchgestrichen durch den Balken des Verbotsschildes. Der dritte Aufruf im Januar war als „Ilmiantoketju“ (Meldekette) bezeichnet. Hier gab es zum ersten Mal (im hier untersuchten Material) den Hinweis, Vorschläge entweder als Kommentar unter dieses Posting oder direkt in die Chronik der Gruppe zu posten. Seit dem siebenten Aufruf Ende Januar wurden die Mitglieder dazu angehalten, ihre Vorschläge direkt als Aktion in die Timeline zu posten. Im neunten und zehnten Aufruf vom März wurde wieder ergänzt, dass Aktionsvorschläge auch als Kommentar zum Feuerlöscher gepostet werden können, wenn es auf Schnelligkeit ankomme (weil die in der Chronik von Mitgliedern geposteten Aktionen erst durch die Moderator*innen freigegeben werden müssen, was zu Verzögerungen führen kann). Im elften Feuerlöscher vom Juni fehlte jedweder Hinweis auf den Ort zum Einreichen von Vorschlägen. Eindeutige Spielregeln für das Posten von Aktionsvorschlägen gab es nicht und Hinweise, die den Mitgliedern bei der Orientierung hätten helfen können, widersprachen sich teilweise und waren nur schwer zu finden. Nur der Meldekette-Post (der dritte Aufruf im Januar) fand sich mit weniger Aufwand unter dem Button „Beliebte Themen in Beiträgen“ (am Computer) bzw. „Themen“ (am Handy).
Für das Lagerfeuer der #ichbinhier-Gruppe gab es klare Regeln, die jeden Tag aufs Neue veröffentlicht wurden. Diese bezogen sich u. a. auf die Aktionsform (Beispiel 28), auf Aktionsorte (Beispiel 29) und auf Einzelheiten zum Inhalt (Beispiel 30).
28. Guten Morgen liebe Gruppe, wir zünden jetzt das tägliche Lagerfeuer an. Ihr könnt hier den ganzen Tag Links zu Beiträgen posten, in denen ihr auf besonders viele unsachliche, nicht zielführende Kommentare gestoßen seid und Unterstützung benötigt
29. Facebookseiten sogenannter Massenmedien jeglicher Couleur, aber nicht auf Parteiseiten und privaten Seiten)
30. Angabe von Thema, Startzeitpunkt des Artikels, visuelle Vorschau entfernen, keine Diskussionen führen, damit der Thread übersichtlich bleibt
Außerdem gab es den Verweis auf das sogenannte „Tool“, in dem alle Mitgliederkommentare untereinander aufgelistet waren mit der Möglichkeit, sie zeitsparend (ohne die Kommentarspalten der Medienhäuser besuchen zu müssen) zu liken (s. Kap. 4.1).
Unterschiede im Gebrauch der Lagerfeuer- und Feuerlöscher-Postings basieren also auf unterschiedlichen administrativen Vorgaben und in der Frequenz und Konsistenz dieser Vorgaben.
4.2.3 Andere Postings
Andere Postings waren beispielsweise Diskussionen, Informationen und Moderationshinweise. In der #ichbinhier-Gruppe waren sie durch Überschriften in bestimmte Kategorien geteilt (Absacker, #ichtalkhier, Bootcamp, Betriebsferien und Begrüßung neuer Mitglieder), während die Postings in der #olentäällä-Gruppe meist nicht explizit durch Überschriften gekennzeichnet waren, sich aber auch hier bestimmten Kategorien zuordnen ließen (Mitgliederdiskussionen, Moderationshinweise und Informationen sowie Begrüßung neuer Mitglieder und Geburtstagsglückwünsche). Art und Umfang anderer Postings als Aktionen ist in Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung 3: Durchschnittliche Zahl anderer Postings von #ichbinhier und #olentäällä pro Monat.
Bevor ich genauer auf die in Abb. 3 aufgeführten Kategorien eingehe, soll noch gesagt werden, dass es daneben weitere Kategorien gab, die aber im Untersuchungszeitraum nicht vorkamen. Eine solche war z. B. die Sparte Fanpost bei #ichbinhier, in denen Dank von (meist bekannten) Personen und Organisationen ausgedrückt wurde (z. B. von der Kölschrockband BAP im September 2020 oder von UNICEF im Mai 2020). Solche Danksagungen wurden in den Mitgliederkommentaren mit Freude aufgenommen und als Zeichen für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Gegenredeaktionen von #ichbinhier interpretiert.
Die Begrüßung neuer Mitglieder (Herzlich Willkommen/Tervetuloa) ist eine Kategorie, die in beiden Gruppen zu finden war. In der #ichbinhier-Gruppe scheint es diese Kategorie erst seit Mitte Juli 2020 zu geben, während sie in der #olentäällä-Gruppe auch schon vor 2020 existierte. In der #olentäällä-Gruppe wird die Begrüßung mit Hinweisen der Moderator*innen kombiniert, in der #ichbinhier-Gruppe beschränkt sich diese Sparte auf den Willkommensgruß.
In der #ichbinhier-Gruppe handelte es sich bei den anderen Postings hauptsächlich um verschiedene Mitgliederdiskussionen, die klar in zwei große Kategorien geordnet werden konnten: Absacker und #ichtalkhier. Der sogenannte Absacker wurde in Abb. 2 separat aufgeführt zur Verdeutlichung dessen, dass er beinahe täglich gepostet wurde. Im Absacker posten die Moderator*innen und manchmal auch die Mitglieder (Mitgliederabsacker) etwas zur „Beruhigung der Gemüter“ am Ende des aktionsreichen Tages, z. B. eine Geschichte, die sich auf ein Bild, ein Video, ein Foto oder ein Lied bezieht. In den darunter geposteten Kommentaren äußern die Mitglieder ihre Gedanken zu dem gewählten Thema. Auch Postings zu Ankündigungen für den Absacker wurden zu dieser Kategorie gezählt. Der Absacker ist zuweilen auch ein Erklärbär, d. h. hier gab es beispielsweise die Möglichkeit, Fragen zur Organisation und Arbeitsweise der Gruppe oder zur typischerweise verwendeten Terminologie (was sind TLK und SLK, wie unterscheiden sich verschiedene Aktionsformen usw.) zu stellen. Ständig wurde im Absacker auch die sogenannte PAT:INNENINFO veröffentlicht, in der auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, sich in Chatgruppen von „Feen und Elfen“ betreuen zu lassen, in denen man lernen konnte „mitzuschwimmen“. Dabei gab es zwei Chatgruppen: die Gruppe „Klein aber fein“, die als „quasi Nichtschwimmerbecken“ bezeichnet wurde und die „Amici“, die auch in „stürmischen Gewässern“ Freunde blieben (alle Begriffe in Anführungszeichen wurden so in der Gruppe verwendet).
Die #ichtalkhier-Sparte diente der Organisation und Durchführung thematisch fokussierter Diskussionen, die für die Arbeit der Gruppe von Relevanz waren. Für die Organisation der Talks gab es Terminankündigungen, Aufrufe zum Einreichen von Diskussionsthemen und Umfragen zur Abstimmung über die eingegangenen Themenvorschläge. War das Thema auf diese Weise bestimmt, folgten die eigentlichen Talks zum festgesetzten Termin. Diese Talks waren Diskussionen, die rund zwei abendliche Stunden lang schriftlich in Form von Kommentaren unter den eröffneten Talk-Postings geführt wurden. Diskutiert wurden z. B. Themen wie Anrede (Du oder Sie), Blockieren, klare Ansage oder Beleidigung, Agitationen, Vernetzung und Freude bei #ichbinhier.
Bei der Sparte Bootcamp (eigentlich Bootcamp für digitale Zivilcourage) handelte es sich ausschließlich um Ankündigungen und Aufrufe zur Anmeldung. Die eigentlichen Bootcamps boten dann einen geschützten Raum zum Üben von Gegenredestrategien in Hassredesimulationen. Obwohl es diese Sparte erst seit Frühjahr 2020 gab, erhielt der Verein ichbinhier dafür bereits am 14. September 2020 den Preis „Digitaler Vereinsmeier“, der für herausragendes Engagement für Digitalisierung, digitales Engagement oder Engagement mit Hilfe digitaler Tools vergeben wird (Verein ichbinhier, o. D.).
In der #olentäällä-Gruppe gehörten zu anderen Postings am häufigsten verschiedene Informationen und Moderationshinweise, z. B. Ergänzungen zur Faktenbank (Linksammlungen mit Fakten über Flüchtlinge, Asylant*innen und Immigrant*innen in Finnland, über Diskriminierung, Klimawandel usw.), Hinweise zum Erkennen von und Warnungen vor Falschmeldungen, Tipps zur Bearbeitung von eigenen Beiträgen auf Facebook (kürzen von Links, Hervorhebungen durch Fett- und Kursivdruck usw.), Lesetipps und Hinweise auf aktuelle Gedenk- und Aktionstage oder -wochen. Erst Anfang Juni gab es Moderationshinweise, in denen die Mitglieder dazu aufgefordert wurden, keine inhaltlichen Diskussionen in den Kommentarspalten unter Gruppenaktionen zu führen. Ein paar Tage später wurde in weiteren Moderationshinweisen ergänzt, dass Kommentare, die sich nicht auf die Arbeit der Gruppe beziehen, gelöscht werden können.
Mitgliederdiskussionen enthielten beispielsweise Fragen und Vorschläge (zum Beispiel zur Benutzung des Hashtags oder zur Zusammenarbeit mit der „Heringsbewegung“, einer anderen finnischen Gegenredegruppe, in der es mehr Diskussionen als Aktionen gibt), Dank (z. B. von Mitgliedern der „Heringsgruppe“ für die Unterstützung deren Gegenredekampagnen), Informationen, Warnungen (vor Fake-News-Medien) und Aufrufe (an Unterschriftenaktionen teilzunehmen). Gezielte Diskussionen zu bestimmten Themen wie in der deutschen Gruppe (#ichtalkhier) gab es hier nicht.
Geburtstagsglückwünsche erhielt #olentäällä-Gruppe am 19. Februar 2020, als sie ihren dritten Geburtstag feierte, von Mitgliedern des internationalen Netzwerks, u. a. auch von seiner Gründerin Mina Dennert aus Schweden.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es in der #ichbinhier-Gruppe konventionalisierte Spielregeln für Aktionen, Mitgliederaktionen und andere Postings gibt, während sich einige Konventionen dafür in der #olentäällä-Gruppe erst zu entwickeln scheinen.
5 Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Gegenredeinitiativen der Gruppen des Netzwerks #iamhere international wurden gegründet, um den Diskurs in den sozialen Medien und besonders auf Facebook auf respektvolle, empathische und sachliche Weise zu beeinflussen (iamhere international o. D.) und den stillen Mitleser*innen anstelle eines unsachlichen, aufgeheizten und recht aggressiven Stimmungsbildes ausgewogene Meinungen zu vermitteln (Laubenstein/Urban 20: 59). In vorliegender kontrastiver Studie wurde das quantitative Erscheinungsbild von Gegenredekampagnen der deutschen und finnischen Gruppen des Netzwerks untersucht. Eine kontrastive Studie der qualitativen Eigenschaften von Gegenrede beider Gruppen, wie Sachlichkeit, Respekt und Empathie, und eine Analyse der Triggerdiskurse für Gegenrede, wie Rassismus, Migration oder Klimawandel, ist Gegenstand einer Folgestudie.
In dieser Studie vorausgehenden teilnehmenden Beobachtungen der deutschen und finnischen Gruppen des Netzwerks fiel auf, dass sich die Intensität und Kontinuität ihrer Aktivitäten und somit auch ihre Sichtbarkeit stark unterschieden. Die Aktivitäten beider Gruppen wurden daraufhin über einen Zeitraum von drei bzw. acht Monaten systematisch dokumentiert und analysiert: die der deutschen Gruppe von Juni bis August 2020 und die der finnischen von Januar bis August 2020.
Organisierte Gegenrede war in der deutschen Gruppe aktiver als in der finnischen, wie in der Analyse der Intensität und Kontinuität der Aktivitäten gezeigt werden konnte (Kap. 4.1). Diese Unterschiede resultierten im Wesentlichen aus dem Vorhandensein oder Fehlen einer strategischen Organisation der Gruppenaktivitäten. In der #ichbinhier-Gruppe gab es konventionalisierte Regeln für Aktionen, Mitgliederaktionen und andere Postings, während sich in der finnischen #olentäällä-Gruppe einige Konventionen erst langsam zu entwickeln schienen (Kap. 4.2). In der deutschen Gruppe waren 12 Teams verantwortlich für die Organisation aller Aktivitäten, in der finnischen Gruppe gab es keine solche für spezifische Aktivitäten verantwortlichen Teams. Der schon 2017 gegründete Verein ichbinhier unterstützte die Gruppe durch Weiterbildung und Beratung der Moderator*innen und trug durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsangebote (zu digitaler Zivilcourage) zur Sichtbarkeit der Gruppe bei. Eine weitere Ursache für die Unterschiede mag zwar auch in der unterschiedlichen Mitgliederzahl der Gruppen begründet sein, allerdings unterschied sich die Zahl der Administrator*innen und Moderator*innen (rund 20 in der deutschen und rund 15 in der finnischen Gruppe), die für die Organisation der Gruppenaktivitäten verantwortlich zeichnen, nicht wesentlich.
Klare Spielregeln für die Kommunikation innerhalb und außerhalb von Gruppen mit tausenden von Mitgliedern (wie die des Netzwerks #iamhere international) geben offensichtlich wertvolle Hinweise für die Beteiligung an Gegenredekampagnen und erleichtern die Administration der Gruppen und die Moderation der Aktivitäten, während fehlende oder inkonsequente Regeln die Orientierung erschweren und sich negativ auf die Intensität und Kontinuität der Gruppenaktivitäten auswirken können.
Soziale Medien spielen als
fünfte Gewalt eine große Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung. Um den
gesellschaftlichen Diskurs nachhaltig positiv beeinflussen, Menschenrechte,
Demokratie und Meinungsfreiheit verteidigen und einer Spaltung der Gesellschaft
entgegenwirken zu können, müssen Gegenredekampagnen neben qualitativen
Merkmalen wie Sachlichkeit, Respekt und Empathie vor allem auch quantitativ
sichtbar sein, um besonders stillen Mitleser*innen zu zeigen, dass Hass und
Hetze nicht unwidersprochen bleiben. Dass Gegenrede eine positive Wirkung auf
das Diskussionsklima in den Kommentarspalten hat, besonders wenn auch die Medienkonzerne
ihrer Moderationspflicht nachkommen, wurde in den Diskussionen der finnischen
Gruppe angesprochen (vgl. Kap. 4.2.1). In der Studie von Ziegele et al. konnte
gezeigt werden, dass die überwiegend respektvollen und diskursiven
Kommentare der Aktionsgruppe #ichbinhier […] dazu beitragen [können], dass
stille Leser*
innen ein besseres Gesamt-Diskussionsklima wahrnehmen (Ziegele et al. 2019:
7).
Abschließend muss hervorgehoben werden, dass sich digitale Formate rapide ändern und einige der Konventionen, die 2020 festgestellt wurden, haben sich inzwischen geändert, teils wegen technischer Entwicklungen der Facebook-Plattform, teils aufgrund von Gruppendynamiken. Während die Aktivitäten und die Mitgliederzahlen der deutschen Gruppe im Laufe des letzten Jahres sanken und ihre Aktivitäten ab dem 10. Mai 2022 sogar pausierten, um neue Konzepte zu entwickeln, stiegen sie in der finnischen Gruppe. Die Ursachen für solche Entwicklungen könnten Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein. Wie oben gezeigt, kann Gegenrede aus sprach- und diskurskritischer Perspektive betrachtet werden (s. Kap. 2). Meine teilnehmenden Beobachtungen zu internen Dynamiken der deutschen Gruppe legen den vorläufigen Schluss nahe, dass die Organisation der Aktivitäten von einer Definition des Verhältnisses von Form (Sprache) und Inhalt (Diskurs) von Gegenrede profitieren könnte. D. h., neben sprachkritischen Aspekten (Kommentieren auf respektvolle, offene, empathische, höfliche und sachliche Art) müssen in zivilgesellschaftlich organisierter Gegenrede gerade auch diskurskritische Aspekte betont werden, die – bei aller Differenziertheit – grundlegende Werte und Einstellungen voraussetzen (gegen Desinformation, Intoleranz, Rassismus und jegliche Formen von Diskriminierung) und entsprechende Grenzen für Sagbares setzen.
Literatur
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.) (2013): „Geh sterben!“ Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet. Cottbus: Druckzone.
URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/08/hatespeech-1.pdf
Baldauf, Johannes/Ebner, Julia/Jakob Guhl (Hrsg.) (2018): Hassrede und Radikalisierung im Netz. Der OCCI-Forschungsbericht (Online Civil Courage Initiative). London – Washington DC – Beirut – Toronto: ISD (Institute for Strategic Dialogue).
URL: https://www.isdglobal.org/wp-content/uploads/2018/09/ISD-NetzDG-Report-German-FINAL-26.9.18.pdf
Bartlett, Jamie/Krasodomski-Jones, Alex (2015): counter-speech examining content that challenges extremism online. London: Demos.
URL: www.demos.co.uk/wp-content/uploads/2015/10/Counter-speech-1.pdf
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URL: https://dangerousspeech.org/countering-dangerous-speech-new-ideas-for-genocide-prevention
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https://www.youtube.com/watch?v=yQ_Ao9A3oEo#action=share
Benesch, Susan/Ruths, Derek/Dillon, Kelly P./Saleem, Haji Mohammad/Wright, Lucas (2016): Considerations for Successful Counterspeech. Dangerous speech project.
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Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (o. D.): Netzwerkdurchsetzungsgesetz. URL:
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DOI: http://dx.doi.org/10.25969/mediarep/791
Burkhard, Steffen (2015): Medienskandale: Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Köln: Halem.
Davis, Trevor/Hindman, Matthew/Livingston, Steven (2019): “Facebook Isn’t Ready for 2020”, The Washington Post, August 14, 2019. URL:
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Verein ichbinhier (o. D.): ichbinhier e.V. mit dem Digitalen Vereinsmeier ausgezeichnet.
URL: https://www.ichbinhier.eu/ichbinhier-e-v-mit-digitalem-vereinsmeier-ausgezeichnet
Vieraskynä (anonymer Gästebeitrag) (2019): #OlenTäällä – DDR-Stasi-tyylinen painostusryhmä facebookissa; havainnot. (#OlenTäällä – Eine Lobby-Facebookgruppe im Stil der DDR-Stasi; Beobachtungen). Magneettimedia 2.11.2019.
URL: https://www.magneettimedia.com/olentaalla-ddr-stasi-tyylinen-painostusryhma-facebookissa-havainnot/
Warnke, Ingo (2021): Widerrede als Fürsprache? Überlegungen zur Doppelgesichtigkeit von Empörung. Keynote auf der Konferenz "Pragmatik der Gegenrede“.
Wodak, Ruth (2016): Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse. Wien-Hamburg: Edition Konturen.
Wodak, Ruth (2018): Vom Rand in die Mitte – „Schamlose Normalisierung“. Polit. Vierteljahresschrift 59: 323–335.
DOI: https://doi.org/10.1007/s11615-018-0079-7
Ylönen, Sabine (2022): Social media as the fifth estate: Strategic organisation of German and Finnish counterspeech campaigns on Facebook. AFinLA Jahrbuch 2022 (Publikationen der finnischen Gesellschaft für Angewandte Linguistik Nr. 79). Jyväskylä. 414–433.
URL: https://journal.fi/afinlavk/article/view/114457
Ziegele, Marc/Jost, Pablo/Frieß, Dennis/Naab, Teresa (2019): Aufräumen im Trollhaus. Zum Einfluss von Community-Managern und Aktionsgruppen in Kommentarspalten. Düsseldorf: Institute for internet and democracy.
URL: https://diid.hhu.de/wp-content/uploads/2019/04/DIID-Precis_Ziegele_V3.pdf
Zollner, Sebastian (2022): Counter Speech als sprachlich-kommunikative Praktik in digitalen, invektiven Konstellationen. Ein Thema für Linguistik, Medienpädagogik und politische Bildung. In: merz. Medien + erziehung 66 (2), 35-45.
Zweig, Katharina A./Deussen, Oliver/Krafft, Tobias D. (2017): Algorithmen und Meinungsbildung. Eine grundlegende Einführung. Informatik Spektrum 40, 318–326.
DOI: https://dx.doi.org/10.1007/s00287-017-1050-5
[1] Die Ergebnisse dieser Studie wurden verkürzt auch im AFinLA-Jahrbuch, dem Publikationsforum der finnischen Gesellschaft für Angewandte Linguistik, in englischer Sprache vorgestellt (s. Ylönen 2022).
[2] Ausführlicher zur Normalisierung nationalistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Rhetorik, die in erster Linie mit „Angst“ arbeitet, in Wodak (2016).
[4] Absacker war eine Kategorie anderer Postings (also keine Aktionen, s. u. Kap. 4.1), die dazu diente, sich am Ende eines aktionsreichen Tages über ein bestimmtes, angenehmes Thema auszutauschen, und die Gemüter zu beruhigen (s. u. Kap. 4.2.3). Diese Kategorie wurde auch dazu genutzt, die Organisation und Arbeitsweise der Gruppe vorzustellen und die entsprechenden Absacker wurden als Vorstellungsabsacker bezeichnet.
[7] Vielen Dank, Tarita Memonen, für die Bestätigung dieser Befunde und den Hinweis auf die Publikation von Tommila (2017).
[9] XY steht hier für den Namen der/des Angesprochenen.