Vol 6 (2024), No 1: 10–38
DOI: 10.21248/jfml.2024.53
Gutachten und Kommentare unter: https://dp.jfml.org/2023/opr-meier-vieracker-klatsche-oder-kantersieg-framesemantische-analysen-zur-perspektivierung-in-fussballspielberichten/
Klatsche oder Kantersieg?
Framesemantische Analysen zur Perspektivierung in Fußballspielberichten
Abstract
This article examines perspectivisation as a central means of biased football reporting on the websites of individual football clubs in the German Bundesliga from a frame-semantic perspective. Based on a corpus of 582 football match reports, each with two texts on the same match from two different perspectives, it is shown how and with which linguistic means the course of the match and individual scenes are framed differently on the websites of the winning and losing teams. Quantitative methods such as keyword analysis and automated frame-semantic annotation as well as qualitative methods are used to show that different framings of the same events and scenes enable different evaluations. Since football match reports must express the football knowledge of the authors, this knowledge consists not least of the ability to convey coherent evaluations in a way that is appropriate for the target group of biased football audiences.
Keywords: Frame semantics, Football match reports, perspectivation, corpus linguistics
1 Einleitung: Fußballspielberichte zwischen Objektivität und Parteinahme
Im Fußball geht es parteiisch zu. Wenn zwei Mannschaften gegeneinander um den Sieg spielen, dann kann eine neutrale Schilderung des Geschehens nur in sehr allgemeinen Beschreibungskategorien erfolgen (Kamp 2007: 84). Schon die deiktischen Orientierungen, die Richtungsangaben wie nach vorne oder auch rechts möglich machen, sind an die Perspektive der jeweils angreifenden Mannschaft gebunden (Meier/Thiering 2017: 50), auf deren Seite man sich mit einer Äußerung wie „Robben zieht von rechts in die Mitte“ sozusagen sprachlich schlägt. Selbst vermeintlich objektive Daten wie Spielergebnisse oder Ballbesitzstatistiken müssen in der Darstellung perspektivierend gewichtet werden, so dass man einer etablierten Konvention folgend ein Ergebnis wie 4:1 als Sieg, ein 1:4 dagegen als Niederlage deuten wird.
Auch wenn Perspektivierungen im Reden über den Fußball unumgänglich sind, hat der Sportjournalismus, der dieses Reden über den Fußball professionell betreibt, eine gewisse Verpflichtung zur Neutralität (Konitzer 2019: 66). Wenigstens bei Spielen auf nationaler Ebene wird auf allzu eindeutige Parteinahmen für oder gegen ein Team verzichtet. Zwar werden über rein faktenbezogene Darstellungen der Spielereignisse hinaus immer auch wertende Interpretationen geliefert (Meier 2019a: 158; Kern 2014: 332), der journalistische Objektivitätsanspruch wird aber nie vollständig abgelegt. Für Medienabteilungen von Fußballvereinen gilt dieser Objektivitätsanspruch dagegen nicht. Für die vereinseigene Berichterstattung, die u. a. auf den Homepages der Clubs publiziert wird und die eher selbstdarstellende PR als Journalismus ist (Konitzer 2019: 83; Röttger/Kobusch/Preusse 2018: 10), ist Parteilichkeit vielmehr konstitutiv. Die Medienangebote, die sich in erster Linie an die Fans des jeweiligen Vereins richten, müssen über die Spiele aus der Perspektive des eigenen Vereins berichten und das Geschehen entsprechend bewerten. Sie nutzen die auch im Journalismus gebrauchte Reportsprache des Fußballs (Burkhardt 2006a: 55) mit ihren typischen Ausdrücken und Wendungen, richten sie aber ganz auf das Ziel der Selbstdarstellung zu. So ist in vereinseigenen Spielberichten von schmerzhaften Niederlagen oder von Gala-Vorstellungen die Rede, die aber auf der jeweils anderen Seite das genaue Gegenteil sind. Ist es für die eine Mannschaft ein Glück, dass ein Schuss nur an den Pfosten geht, wird eben dies von der Gegenseite als Pech bedauert. In den Texten, und das kann im Anschluss an Sandig (1996: 37) als die Grundfunktion von sprachlicher Perspektive beschrieben werden, wird das Spielgeschehen nur in bestimmten Aspekten für die Textproduzierenden relevant und wird so auch für die Adressierten im Zuschnitt auf ihre je besonderen Motivationslagen verbalisiert.
Im vorliegenden Beitrag möchte ich solche vereinseigenen Spielberichte auf die hier zu beobachtenden Perspektivierungen in den Blick nehmen und diese mit den Mitteln der Frame-Semantik analysieren. Wie unten noch zu zeigen sein wird, bietet die Frame-Semantik, in der der Begriff der Perspektivierung eine zentrale Rolle spielt, eine geeignete und medienlinguistisch anschlussfähige theoretische Grundlage, um den sprachlichen Anteil bzw. die Versprachlichung dieser Perspektivierungen präzise zu beschreiben. Und indem die Frame-Semantik darauf abzielt, das verstehensrelevante Wissen in seiner Organisation und seiner Funktion für Sprachproduktion und -rezeption systematisch zu erfassen, wird auf diesem Wege das in den Spielberichten verhandelte Wissen vor allem als Bewertungswissen beschreibbar. In einer framesemantisch fundierten Beschreibung der Sprache der Fußballberichterstattung, jenem ganz auf die mediale Aufbereitung des Fußballs zugeschnittenen Bereich der Fußballsprache, müssen darum Aspekte der Bewertung eine zentrale Rolle spielen. Zur Erläuterung und Erprobung dieser These gehe ich korpusanalytisch vor und werde dabei quantifizierende und teilweise auch – unter Rückgriff auf die framesemantische Ressource Kicktionary (Schmidt 2009) – automatisierte Verfahren mit qualitativ-interpretativen Zugängen kombinieren.
Im Folgenden werde ich zunächst das Korpus und die korpuslinguistischen Methoden vorstellen und dann das für den vorliegenden Zusammenhang relevante Verständnis von Frames und Frame-Semantik sowie den Begriff der Perspektivierung diskutieren. Danach werde ich zunächst quantitative Analysebefunde berichten und anschließend qualitative Feinanalysen vornehmen, die in eine Typologie verschiedener Perspektivierungsdimensionen münden. Abschließend werde ich die Konsequenzen der Befunde für eine framesemantische Modellierung des verstehensrelevanten Fußballwissens und seiner Rolle in der medialen Aufbereitung des Fußballs diskutieren.
2 Korpus und korpuslinguistische Methoden
Die folgenden Analysen stützen sich auf ein Korpus von 582 vereinseigenen Spielberichten zu sämtlichen Bundesligapartien der Saison 2019/20. Dabei wurden nach dem Vorbild von Oksefjell Ebeling (2019) sowie Braun et al. (2021), die vergleichbare Korpora für verschiede Ligen in England, Deutschland, den Niederlanden und Norwegen erstellt haben, zu jedem Spiel die Spielberichte von den Homepages der jeweils beteiligten Vereine erfasst. Da einige Vereine nicht zu jedem Spiel Berichte publiziert haben, fällt das Korpus gegenüber der eigentlichen Gesamtzahl von 612 Spielberichten etwas geringer aus. Zu 292 von insgesamt 306 Spielen konnten so aber die Berichte beider beteiligten Vereine erfasst werden. Und eben hierauf kommt es bei der Korpuserstellung an: Ein und dasselbe Ereignis wird aus jeweils zwei gegensätzlichen Perspektiven beschrieben.
Die Daten wurden mit dem Tool trafilatura (Barbaresi 2021) heruntergeladen und als XML-Dateien aufbereitet. Die Metadaten wurden als XML-Attribute nach dem folgenden, hier exemplarisch ausgefüllten Muster erfasst:
team="B04" opponent="BMG" season="19/20" round="10" home="home" match="B04BMG" date="2019-11-02" score="1:2" result="defeat" url="https://www.bayer04.de/de-de/news/bundesliga/1-2-bayer-04-verliert-die-punkte-und-bailey"
Das Korpus kann so nach verschiedenen Kriterien gefiltert und etwa auf Berichte über Heimniederlagen durchsucht werden, die dann auch mit den passenden Berichten über Auswärtssiege aligniert werden können. Die Daten wurden mit dem TreeTagger (Schmid 2003) nach Wortarten annotiert und lemmatisiert und anschließend in die Korpusanalysesoftware CQPweb (Hardie 2012) geladen. Das Korpus umfasst insgesamt 404.989 Tokens.
Aus Urheberrechtsgründen kann das Korpus nicht frei publiziert werden. Interessierten kann jedoch auf Anfrage über die Korpora zur Fußballlinguistik (Meier 2017) Zugang gewährt werden. Außerdem werden Frequenzlisten und Python-Skripte über ein freies Repositorium zur Verfügung gestellt, mit denen die quantitativen Befunde repliziert werden können.[1]
Bei meinen Analysen werde ich u. a. auf die lexikographische Ressource Kicktionary zurückgreifen. Dieses korpusbasierte „elektronische Fußballwörterbuch“ verzeichnet den Fußballwortschatz der Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch. Jenseits der für klassische Wörterbücher typischen alphabetischen Sortierung (Burkhardt 2006b) können die Lemmata nach semantischen Relationen sowie nach den mit den sprachlichen Einheiten evozierten Frames geordnet werden (s. u.). Das Kicktionary bietet damit einen hervorragenden und empirisch gestützten Ausgangspunkt für die hier unternommene framesemantische Analyse von Spielberichten. Das Kicktionary ist außerdem deutlich passgenauer auf die Domäne der Fußballsprache zugeschnitten als die großen framesemantischen Ressourcen wie das Berkeley FrameNet (Ruppenhofer et al. 2016) und sein deutschsprachiges Pendant FrameNet des Deutschen,[2] in denen die meisten fußballrelevanten Frames und lexikalischen Einheiten (noch) fehlen.
3 Zum Framebegriff
In einer denkbar allgemeinen Annäherung können Frames als Wissensstrukturen definiert werden, „die es Menschen ermöglichen, ihre Erfahrungsdaten zu interpretieren“ (Ziem 2008: 14). Aus soziologischer Perspektive hat Goffman (1977) Frames als sozial geteilte und durch bestimmte Indikatoren evozierte „Interpretationsschemata“ (Goffman 1977: 31) gefasst, die „einen sonst sinnlosen Aspekt einer Szene zu etwas Sinnvollem mach[en]“ (Goffman 1977: 31). Körperbewegungen etwa werden etwa als bestimmte Handlungen deutbar und jenseits rein kausaler Erklärung auch nach bestimmten sozialen Maßstäben bewertbar. Trotz ausgeprägtem gesprächsanalytischen Interesse hat Goffman der Rolle von Frames bei der Sprachproduktion und -rezeption aber keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Von der Linguistik und der Frage nach der semantischen Analyse sprachlicher Zeichen herkommend hat Fillmore den Begriff des Frames eingebracht (vgl. ausführlich Busse 2012). Die Grundidee ist in aller Kürze, dass das Verstehen von Wörtern in ihrem Gebrauchszusammenhang als Aktivierung von Frames im Sinne von kognitiv verankerten, aber sozial erworbenen Erfahrungsschemata beschrieben werden kann, in denen eine Vielzahl von Konzepten auf bestimmte Weise in Relation zueinander gesetzt werden. Entscheidend ist hier ein holistisches Verständnis von Semantik. Zum einen wird Weltwissen und nicht nur vermeintlich rein sprachliches Wissen als relevant für das Sprachverstehen angesehen. Zum anderen gilt die Annahme, dass im Zuge der Aktivierung von Frames ein Konzept eine ganze Reihe weiterer Konzepte hervorruft und erst in diesem Gesamtzusammenhang seine besondere Bedeutung erhält (Fillmore 1982: 111). Frames wirken somit kohärenzstiftend, indem sie im Sprachverstehen Inferenzen auch jenseits des explizit Ausformulierten ermöglichen (Fillmore/Baker 2009: 336).
Für die linguistische Weiterentwicklung (und Engführung) des Framebegriffs zu einer Frame-Semantik ist insbesondere die Idee relevant, dass die in der Struktur der Frames organisierten Konzepte (Frame-Elemente) als semantische Valenzen beschrieben werden können (Ziem 2015: 384), die bei konkreten Lexemen einer Einzelsprache mit syntaktischen Valenzmustern so korrelieren, dass bestimmte Formulierungen lizenziert werden und andere nicht. Diese Idee macht sich das framesemantisch fundierte Fußballwörterbuch Kicktionary zunutze. Es führt für die erfassten lexikalischen Einheiten (LE) die zugehörigen Frames mit ihren Frameelementen auf und zeigt anhand von authentischen und annotierten Sprachdaten, ob und wie diese Frameelemente sprachlich realisiert werden können. So werden etwa die Lexeme bedienen und passen beide dem Frame Pass zugewiesen, der als Frame-Elemente etwa die passgebende (Passer) und passempfangende (Recipient) Person, aber auch den Ball (Ball) oder die Richtung (Direction) enthält. Die letzten beiden Frame-Elemente können aber in Sätzen mit bedienen nicht explizit sprachlich realisiert werden, während in Sätzen mit passen das Frame-Element Recipient implizit bleiben kann und dann im Zuge des Verstehens ergänzt wird (Ziem 2015: 397). Denn während Sätze wie
(1) [Aarón]Passer bediente [Robin Quaison]Recipient, der sich gegen Sven Bender durchsetzen konnte […] (M05 : B04 0:1)[3]
(2) [Der Belgier]Passer passte [den Ball]Ball von der Grundlinie [quer]Direction auf den zweiten Pfosten […] (WOB : BVB 0:2)
offenkundig akzeptabel sind, sind die beiden folgenden Formulierungen auffällig oder sogar sinnabweichend:
(3) ? Aarón bediente quer Robin Quaison.
(4) * Der Belgier bediente den Ball quer auf den zweiten Pfosten.
So faszinierend diese Möglichkeiten einer entsprechend operationalisierten Frame-Semantik gerade für lexikographische und eventuell auch sprachdidaktische (Ziem 2015) Zusammenhänge sind, so ist aus medienlinguistischer Sicht noch ein anderer Aspekt relevant: Frames schaffen Perspektiven, indem sie je nach sprachlicher Wahl, welche diese Frames aktiviert, ein abstraktes Schema aus einer bestimmten Perspektive in den Blick nehmen, die manche Dinge hervorhebt und explizit macht, andere hingegen in den Hintergrund rückt und dadurch auch Wertungen transportieren kann (Czulo/Nyhuis/Weyell 2020: 17–18). Im Fokus framesemantischer Medientextanalysen stehen somit verschiedene „Zeichenressourcen in kontextgebundenen Bedeutungskonstitutions- und Interpretationsprozessen und deren Gebrauch zur Kategorisierung, Perspektivierung und Selektion salienter Elemente einer Darstellung“ (Ziem/ Pentzold/Fraas 2018: 159).
Die allgemeinen, durch Frames je unterschiedlich perspektivierten Schemata nennt Fillmore (wenigstens in seiner frühen Phase) auch Szenen. In seiner Metaphorik kommt dieser Terminus der Anwendung auf den Fußball, wo ebenfalls von Szenen die Rede ist, natürlich sehr entgegen. Und so formuliert Schmidt für das Kicktionary: „[…] a frame is a structural entity used to group linguistic expressions which share a common perspective on a given conceptual scene“ (Schmidt 2009: 102; kritisch hierzu Ziem 2015). Zwar dürfte es sich bei dieser Operationalisierung um eine Fehldeutung des Fillmore’schen Szenenbegriffs handeln, der übrigens in späteren Fassungen der Framesemantik und auch in framesemantischen Ressourcen wie dem FrameNet keine Rolle mehr spielt. Stattdessen ist dort von abstrakten Szenario-Frames die Rede, die jedoch, und das ist hier entscheidend, in untergeordneten, spezifischeren Frames auf bestimmte Weise perspektiviert und profiliert werden (Ruppenhofer et al. 2016: 13).[4] So kann das allgemeine Szenario der Geburt als Gebären oder Geborenwerden perspektiviert werden. In diesem Zuschnitt ist theoretische Konzept des Szenarios für die hier leitende Fragestellung unmittelbar einschlägig.
Anschaulich wird das etwa anhand von jenen im Kicktionary dokumentierten Frames mit je unterschiedlichen lexikalischen Einheiten, welche die allgemein gehaltene Szene (präziser müsste man also vom Szenario sprechen) des Eins-gegen-eins (One-on-one) aus verschiedenen Perspektiven verbalisieren. Dass ein solches Szenario zu einem Ballbesitzwechsel führt, kann aus der Perspektive des ballverlierenden oder aber des ballgewinnenden Spielers entweder als Ballverlust, vertändeln usw., also mit dem Frame Lose_Ball, oder als Balleroberung, abluchsen usw. mit dem Frame Deny beschrieben werden. Indem sie Frames aktivieren, kontextualisieren lexikalische Wahlen das beschriebene Geschehen also in einer bestimmten Weise (Graumann/Kallmeyer 2002: 6). Sie stellen bestimmte Aspekte umfassenderer Schemata unter eine bestimmte Perspektive und verweisen somit auf die Bedingungen, unter denen die Äußerung hat produziert werden können (Busse 2012: 73 unter Verweis auf Fillmore 1977). Sie dienen als Verstehenshinweise, die von den Rezipierenden im Interpretationsprozess als Zeichen der perspektivierten und mithin auch wertenden Inblicknahme des Geschehens nachvollzogen werden können. Die für Medientexte im Allgemeinen und für die vereinseigene Berichterstattung im Besonderen typische Perspektivierung (Schmitz 2004: 17) findet in den jeweils evozierten Frames ihren Niederschlag.
Die in den lexikalischen Wahlen angelegten Kontextualisierungshinweise reichen dabei weit über nur den unmittelbaren Kotext betreffende grammatische Restriktionen hinaus. Vielmehr indizieren sie Fillmore zufolge ganze Geschichten, die über die Erzählinstanz stets eine bestimmte Perspektive mit sich führen (Köller 2004: 22). Aus dem Erzählzusammenhang dieser Geschichten heraus verbinden sich die sprachlich evozierten Frames mit den darin eingelassenen Kategorisierungen zu einem kohärenten Ganzen:
The framing words in a text reveal the multiple ways in which the speaker or author schematizes the situation and induce the hearer to construct that envisionment of the word world which would motivate or explain the categorization acts expressed by the lexical choices observed in the text. The interpreter’s envisionment of the text world assigns that world both a perspective and a history. (Fillmore 1982: 122)
Diese Idee kann am Beispiel des Lexems Befreiungsschlag veranschaulicht werden, das sowohl eine konkrete Spielaktion (5) als auch ein gesamtes Spiel (6) bezeichnen kann, in beiden Fällen aber das jeweilige Ereignis als Endpunkt einer ganzen Kette von Ereignissen rahmt:
(5) Ein Befreiungsschlag von Akanji landete genau im Lauf von Sancho […]. (BVB : B04 0:4)
(6) Den Wölfen gelang am 12. Spieltag der Fußball-Bundesliga der Befreiungsschlag. (SGE : WOB 0:2)
In überaus komprimierter Weise kann mit der Rede von einem Befreiungsschlag eine weit über das damit bezeichnete Ereignis selbst hinausreichende Geschichte erzählt werden. Im Kicktionary, wo übrigens nur die Verwendungsweise wie in (5) verzeichnet ist, wird das Lexem dem Frame Defense_Shot zugewiesen, womit das reaktive Moment gut erfasst wird. Bei der Prüfung der Belege fällt aber zusätzlich auf, dass mit Befreiungsschlag im Sinne von (5) durchgängig nur Aktionen des eigenen Teams bezeichnet werden und auch Befreiungsschlag im Sinne von (6) nur bei eigenen Siegen verwendet wird. Auch wenn im Prinzip Niederlagen als Befreiungsschlag des Gegners beschrieben werden könnten, kommt dies in den Daten nicht vor. Der damit evozierte Frame konstruiert offenbar typischerweise eine Geschichte, in der das eigene Team sich gegen die anderen verteidigt. Die Angriffe der anderen, welche die eigene Verteidigungsleistung erst bedingen (und z. B. als bedrängen beschrieben werden könnten), sind hier als die divergierende Perspektive ebenfalls epistemisch präsent (Sandig 1996: 39), bleiben aber im Hintergrund (Busse 2012: 66), was den Eigenanteil am Geschehen umso mehr fokussiert.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass dieses Hervorheben und In-den-Hintergrund-Rücken auch in der kommunikationswissenschaftlichen Framingtheorie adressiert wird, die für Medientextanalysen eine oft genutzte theoretische Grundlage bietet (Reese/Gandy/Grant 2001):
To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described. (Entman 1993: 52)
Allerdings operiert dieser Framebegriff auf einer gänzlichen anderen Ebene als der der Frame-Semantik und zielt stärker auf textuelle Strukturen denn auf sprachliche Bedeutungen. Zwar eint beide Frame-Ansätze ein Interesse an den Perspektivierungsleistungen von Frames (Ziem/Pentzold/Fraas 2018: 156), und es gibt Versuche, das Framing im Sinne Entmans mit den Mitteln framesemantischer Analysen zu modellieren (Czulo/Nyhuis/Weyell 2020: 17). Die folgenden Analysen sind gleichwohl stärker framesemantischen Ansätzen verpflichtet und fokussieren primär lexikalische und konzeptuelle Strukturen in ihren ko- und kontextuellen Einbettungen (Ziem/ Pentzold/Fraas 2018: 161).
4 Perspektivierung als divergierendes Framing: Befunde
Ausgehend von der Überlegung, dass die sprachlich evozierten Frames ein Geschehen auf je spezifische Weise perspektivieren, können nun die Texte im hier untersuchten Korpus, die jeweils ein und dasselbe Spiel aus verschiedenen Perspektiven schildern, als Produkte divergierenden Framings (Croft/Cruse 2004: 18) beschrieben werden. Im Folgenden soll dieses divergierende Framing zunächst in quantitativen, das gesamte Korpus einbeziehenden Analysen untersucht werden, bevor die Befunde anschließend in qualitativen Feinanalysen weiter angereichert werden. Dabei werden verschiedene Dimensionen von Perspektivierung adressiert, die anschließend in einer Typologie zusammengefasst werden.
4.1 Quantitative Analysen I: Keywords
Bevor einzelne Frames gezielt in den Blick genommen werden, soll eine direkte Gegenüberstellung zweier komplementärer Perspektiven – der von Sieg und Niederlage – in aller Breite vor Augen führen, wie sich diese unterschiedliche Perspektivierung sprachlich ausprägt. Hierfür werden zwei Subkorpora angelegt, die jeweils die Spielberichte von Siegen sowie von Niederlagen enthalten. Diese Subkorpora werden – abermals nach dem Vorbild von Oksefjell Ebeling (2019: 47–51) und Braun et al. (2021: 404–409) – miteinander verglichen und es werden Keywords berechnet, also Ausdrücke, die in dem Untersuchungskorpus signifikant häufiger sind als im Vergleichskorpus (Culpeper/Demmen 2015). Als Signifikanztest wird der für nicht-normalverteilte Stichproben geeignete Wilcoxon-Rangsummentest genutzt, der anders als das in der Korpuslinguistik oft genutzte statistische Maß Log Likelihood Ratio auch eine hinreichend breite Dispersion der Keywords über die Texte in den verglichenen Korpora berücksichtigt (Lijffijt et al. 2016; Sönning 2023). Gerechnet wurde auf lemmatisierter Basis; Interpunktionszeichen wurden ausgeschlossen. Tab. 1 (s. u.) zeigt die jeweils signifikanten Keywords unterhalb des Schwellenwertes p < 0,05.
Erwartungsgemäß finden sich in den Keywordlisten, die denen in Braun et al. (2021: 408) durchaus ähneln, zunächst Lexeme, welche Sieg und Niederlage bezeichnen (gewinnen, (Auswärts-/Heim-)Sieg vs. verlieren, unterliegen, Niederlage) und näher charakterisieren (verdient vs. bitter), sowie Bezeichnungen für Tore bzw. Gegentore, welche über Sieg und Niederlage entscheiden, und entsprechende Spielstände (Führung vs. Rückstand). Mit diesen lexikalischen Einheiten werden also Spielausgänge und Spielstände – im Kicktionary finden sich hierfür die Szenarien Match und State_Of_Match – aus konträren Perspektiven in den Blick genommen. Es wird also ein Frame ausgewählt (und dafür auf einen anderen verzichtet), der den übergeordneten Szenario-Frame perspektiviert. Freilich könnte auch eine eigene Niederlage als Sieg des Gegners beschrieben werden und umgekehrt, in den hier untersuchten vereinseigenen Berichten kommt das aber nicht vor.
Berichte über Siege |
Berichte über Niederlagen |
gewinnen |
verlieren |
Sieg |
unterliegen |
feiern |
nicht |
verdient |
Niederlage |
wichtig |
müssen |
damit |
bitter |
und |
kommen |
Punkt |
Gastgeber |
perfekt |
trotz |
mit |
Rückstand |
Auswärtssieg |
Ausgleich |
zurück |
können |
drei |
fehlen |
legen |
Ende |
sorgen |
bleiben |
Führung |
keine |
Heimsieg |
weit |
was |
Anfangsphase |
viert |
eine |
scheitern |
hinnehmen |
Saisontor |
aber |
Saison |
schnell |
einfahren |
|
seit |
|
Tabelle 1: Keywords Sieg vs. Niederlage (lemmatisiert, Wilcoxon Rangsummentest, p < 0,05)
Hinzu kommen Verben, die Sieg oder das metonymische Äquivalent 3 Punkte als Objekt haben wie (Sieg) feiern und das in seiner das Szenario der Ernte aufrufenden Metaphorik interessante (Sieg) einfahren. Aufschlussreich ist unter den Keywords für Siege auch sorgen (für), womit typischerweise erzielte Tore beschrieben werden. Unter den Keywords zu den Niederlagen fällt dagegen das Verb hinnehmen auf, das sich sowohl auf einzelne Gegentore als auch auf die gesamten Niederlagen beziehen kann. Während also Siege aktiv erkämpft werden, sind Niederlagen Ereignisse, die einem Team widerfahren.
Interessant ist der Befund, dass die Negationspartikel nicht in den Berichten über Niederlagen rund ein Drittel häufiger ist als in den Berichten über Siege. Typische Verbindungen sind nicht genug, nicht reichen und nicht gelingen, die ebenso wie die häufige Formulierung, dass die Präzision fehlt, sozusagen eine Zielnorm ansetzen, um deren Erreichen das Team zwar bemüht ist, hinter der es aber doch zurückbleibt (Meier 2019b: 17). Passend hierzu heißt es in Berichten zu Niederlagen häufig in konzessiver Formulierung, dass das Spiel trotz engagierter Leistung verloren wurde. Auch der für Berichte über Niederlagen typische adversative Konnektor aber, mit dem wie in zielte aber neben den Kasten ein Erwartungsbruch angezeigt werden kann (Stede 2004: 276), ist aufschlussreich. In eine ähnliche Richtung weist schließlich der Befund, dass das Modalverb können für die Berichte über Niederlagen typisch ist. Es tritt besonders häufig negiert auf und dient dann dazu, letztlich verhinderte Umsetzungen des eigentlich Möglichen zu bezeichnen (Weinrich/ Thurmair 2007: 298).
(7) Auf der gegenüberliegenden Seite prüfte Volland noch einmal Zentner, bevor Mateta auch seine dritte Riesengelegenheit nicht nutzen konnte. (M05 : B04, 0:1)
Diese Formulierung betont gewissermaßen das eigentlich Geleistete, das gleichwohl nicht zum Erfolg führt. Der genaue Grund für die nicht genutzte Chance bleibt dabei interessanterweise unerwähnt. Schließlich ist auch das Modalverb müssen in den Berichten über Niederlagen signifikant häufiger als in den Berichten über Siege. Typisch sind die Formulierungen musste sich geschlagen geben oder musste eine Niederlage hinnehmen, welche eben durch das Modalverb müssen in circumstantieller Verwendung (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: 1888) die Gründe für die Niederlage in den äußeren Umständen verorten und so den möglichen Eigenbeitrag zur Niederlage tendenziell ausblenden.
4.2 Quantitative Analyse II: Experimente mit automatisierter Annotation
Ausgehend von den für die gesamten Subkorpora berechneten Keywords und der Prüfung ihrer typischen kontextuellen Verwendungsweisen lassen sich also bereits mannigfaltige Perspektivierungen aufzeigen, die im Reden über Siege und Niederlagen je unterschiedliche Aspekte in den Fokus rücken und das Geschehen mithin unterschiedlich rahmen. Die lexikalischen Grundlagen für diese Framingeffekte sind aber nicht immer spezifisch für die Domäne Fußball. Dagegen sollen im Folgenden gezielt die Fußballlexik und die durch sie evozierten Frames, wie sie im Kicktionary verzeichnet sind, in den Blick genommen und quantitativ ausgewertet werden.
Um das gesamte Korpus zu berücksichtigen, wird hier auf das Verfahren automatisierter Annotation auf Grundlage der Lexikoneinträge im Kicktionary zurückgegriffen. Dort sind allen lexikalischen Einheiten je ein bzw. bei Polysemie mehrere Frames zugeordnet. Umgekehrt sind für die Frames die sie evozierenden lexikalischen Einheiten verzeichnet. Für die Annotation wird das Korpus wortweise durchgegangen und auf Lemmabasis mit den Wörterbucheinträgen abgeglichen. Die den Lemmata zugeordneten Frames werden aufsummiert, deren Frequenzen dann miteinander verglichen werden können. Gegenüber der Keywordberechnung im vorangegangenen Abschnitt ist eine solche Auswertung auf das fußballtypische Vokabular fokussiert und ist zugleich abstrakter, indem jeweils mehrere Ausdrücke zu Frames zusammengefasst werden.[5]
Der folgende Auszug kann einen Eindruck von den Möglichkeiten und Grenzen der automatisierten Annotation geben:
Auch nach dem [Seitenwechsel]Match_Temporal_Subdivision bot sich die erste [Gelegenheit]Chance den [Gästen]Away_Game. Brosinski [bediente]Pass Onisiwo mit einem flachen [Zuspiel]Pass in den [Strafraum]Field, der Österreicher drehte sich um seinen [Gegenspieler]Player, zielte aber neben den [Kasten]Goal_Target (52.). Der FSV presste weiter hoch und [setzte]Shot_Supports immer wieder Akzente in der [Offensive]Team. In der 56. Minute brach Jean-Paul Boëtius auf links durch, [scheiterte]Shoot_At aber mit seinem [Versuch]Shot aus spitzem [Winkel]Goal_Target an Schwolow. Eine Gäste-Führung lag in der Luft, spätestens nachdem auch Quaison [freistehend]Being_Free im Freiburger [Strafraum]Field zum [Abschluss]Shot gekommen war, das [Leder]Ball aber neben das [Tor]Goal_Target [setzte]Shot_Supports (58.). (M05 : SCF, 0:3)
Obwohl hier zahlreiche Ausdrücke korrekt annotiert sind, finden sich verschiedene Fehlannotationen, wenn etwa der idiomatische Ausdruck Akzente setzen nicht erkannt wird. Unter Berücksichtigung derartiger Probleme ist bei automatisierten Annotationen also mit einer beträchtlichen Fehlerquote zu rechnen. Dennoch soll eine Auszählung hier versuchsweise unternommen werden, wohlwissend, dass diese eine gewisse Unschärfe aufweisen wird.
Die Auszählung geschieht abermals kontrastiv, indem die Annotationen der beiden Subkorpora mit den Berichten über Siege und Niederlage einander gegenübergestellt werden. Bei der Kontrastierung der Frequenzen der Frames werden zunächst die Frames herausgefiltert, deren Frequenzen sich gemäß eines Wilcoxon-Rangsummentests nicht signifikant (bei p < 0,05) unterscheiden. Anschließend können die Differenzen in den relativen Häufigkeiten der verbleibenden Frames visualisiert werden. Das folgende Diagramm zeigt, mit welchen Frames die Berichte über Siege signifikant häufiger (> 0) bzw. signifikant seltener (< 0) ausgezeichnet wurden als die Berichte über Niederlagen:
Abbildung 1: Quantitative Auswertung der Frames
Auch hier ergibt sich zunächst der erwartbare Befund, dass der Frame Victory in den Berichten über Siege überrepräsentiert ist, ebenso wie der Frame Celebrate_Goal. Die zugehörigen lexikalischen Einheiten werden also in Berichten über Siege häufiger verwendet. Unterrepräsentiert sind dagegen die Frames Defeat, Lose_Ball und Concede_Goal. Zur Veranschaulichung mag ein Blick auf die jeweils so annotierten lexikalischen Einheiten in ihren jeweiligen Häufigkeiten nützlich sein.
Hier zunächst die für Siege typischen Frames:
• Victory: Sieg (178), gewinnen (170), Erfolg (37), bezwingen (21), sich durchsetzen (15), Sieger (15), siegreich (7), Kantersieg (3), triumphieren (2)
• Celebrate_Goal: feiern (106), jubeln (33), bejubeln (15)
Die für Niederlagen typischen Frames sind dies in den Texten wie folgt repräsentiert:
• Defeat: Niederlage (128), unterliegen (115), Pleite (3), Schlappe (2)
• Lose_Ball: verlieren (181), Ballverlust (35), verstolpern (1)
• Concede_Goal: Gegentor (43), hinnehmen (35), Gegentreffer (28), kassieren (26)
Auch die Unterrepräsentation des Frames Trail mit den lexikalischen Einheiten Rückstand und zurückliegen fügt sich in diese Reihe der erwartbaren Befunde ein. Sie verweisen erneut auf die bereits beschriebene Perspektivierungsdimension, nach der die Textproduzierenden bestimmte, einen übergeordneten Szenario-Frame perspektivierende Frames bzw. diese Frames evozierende lexikalische Einheiten auswählen und auf andere verzichten.
Besondere Erwähnung verdient die Überrepräsentation des Frames Shoot_at, der vor allem durch das Verb scheitern vertreten ist. Es rahmt einen Torschuss, d. h. also den Szenario-Frame Shot, aus der Perspektive des angreifenden Teams, wobei zumeist ein Eingreifen des Torhüters als Grund für das nicht erzielte Tor angegeben wird. Selbst wenn damit also ein misslungener Torschuss beschrieben wird, besteht in Berichten über Siege offenbar häufiger Anlass zu derartigen Aussagen. Denn nur, wer überhaupt nicht aufs Tor schießt, wird es auch nie verfehlen. Interessant ist zudem, dass in Berichten über Niederlagen der Frame Team häufiger ist, dem als kollektive Akteursbezeichnungen wie Mannschaft zugeordnet sind. Ein Grund hierfür, der auch schon für die spielanschließende Pressekonferenzen mit den ebenfalls parteiischen Trainern gezeigt werden konnte (Meier 2015: 284), könnte darin liegen, dass bei Siegen die Einzelleistungen von Spielern lobend herausgestellt wird, während bei Niederlagen die Kritik eher an die gesamte Mannschaft adressiert wird.
Trotz einiger interessanter Befunde erweist sich die auf automatisierter Annotation basierende quantitative Analyse als recht grob. Indem hier die Korpora bzw. ihre Annotationen als ganze ausgezählt werden, bleibt unberücksichtigt, dass sich Fußballspiele aus einzelnen Szenen zusammensetzen, die in den Spielberichten dann auch je für sich in sequentieller Abfolge geschildert werden. Jenseits der globalen Beschreibungen mithilfe der Frames Victory und Defeat gibt es kaum Beschreibungen, die eindeutig genug an die Perspektive des gewinnenden bzw. verlierenden Teams gebunden wären; ein Großteil der im Kicktionary erfassten Lexeme setzt aber der Zielstellung des Wörterbuchs entsprechend auf der Beschreibungsebene einzelner Spielszenen an. Darum wird im Folgenden der kontrastive Analysefokus von den Spielen insgesamt auf einzelne Szenen eingegrenzt.
4.3 Qualitative Analyse
Wie bereits angedeutet, sind Spielberichte neben globalen Beschreibungen und Einschätzungen etwa als Galavorstellung oder schmerzhafte Niederlage als sequentiell verknüpfte Beschreibungen einzelner Spielszenen gestaltet. Um auf dieser feinkörnigeren Beschreibungsebene divergierendes Framing nachvollziehen zu können, wurden zu einer Stichprobe von Spielen jeweils beide Spielberichte vergleichend gelesen und dabei Passagen ausgewählt, in denen die jeweils gleiche Szene geschildert wird. Einige ausgewählte Befunde sollen im Folgenden exemplarisch diskutiert werden.
Besonders auffällig ist die geradezu gegenläufige Perspektivierung bei Torschüssen, die entweder aus der Sicht des angreifenden oder aber des verteidigenden Teams geschildert werden. Während etwa aus Sicht des 1. FC Köln Mark Uth einen Elfmeter „vergab“ (TSG : KOE 3:1), heißt es im zugehörigen Bericht der TSG Hoffenheim, dass Torhüter Baumann den Strafstoß „parierte“ (TSG : KOE, 3:1). Überhaupt sind vor allem die nicht verwandelten Torschüsse aufschlussreich. Sie werden im Kicktionary der Szene (präziser müsste man sagen: Szenario-Frame) Shot zugewiesen, die wie folgt erläutert wird:
The frame Intervene contains LUs that describe interventions whose agents can be field players of either team or the opponent’s goalkeeper. The frame Save contains LUs describing intervening actions that can only be carried out by the opponent's goalkeeper. The frame Shoot_At contains LUs that describe an intervention […] from the shooter’s (instead of the intervening player’s) point of view. (Hervorh. SMV)[6]
Wie sich dieses komplementäre Framing in den Texten konkret ausgestaltet, zeigt das folgende Beispiel, in dem jeweils der gleiche Angriff des VfL Wolfsburg im Spiel gegen Werder Bremen geschildert wird, zunächst aus der Perspektive des angreifenden und dann aus der Perspektive des verteidigenden Teams:
(8) Nach einem Bremer Ballverlust bewies Wout Weghorst ein gutes Auge und bediente im Sechzehner Kollege Victor, der allerdings an Werder-Keeper Jiri Pavlenka [scheiterte]Shoot_at (17.) (WOB : SVW, 2:3)
Pavlenka mit der Glanztat! Groß verliert das Leder im Aufbau an Weghorst. Der Niederländer treibt das Leder gen Strafraum und legt dann quer auf Joao Victor, der nur noch Pavlenka vor sich hat und zum Ausgleich ansetzt. Pavlenka macht sich ganz breit und [wehrt überragend mit dem Fuß ab]Intervene! Was für ein Torwart! (WOB : SVW, 2:3)
Während aus Sicht der angreifenden Wolfsburger die nicht verwandelte Chance als scheitern beschrieben wird, wird das gleiche Ereignis aus Sicht der verteidigenden Bremer als überragend abwehren beschrieben. Dem Kicktionary folgend wird also das Szenario Shot einmal als Shoot_at und einmal als Intervene gerahmt, so dass einmal der torschussabgebende Spieler und einmal der Torhüter als primärer Akteur fokussiert und die Szene aus dessen Blickwinkel beschrieben wird. Zwar sieht auch der Frame Shoot_at das Frameelement Goalkeeper vor und so taucht auch in der Schilderung mit scheitern der Torhüter auf. Dieses Frameelement wird jedoch dem Valenzmuster (Ziem 2015: 398) des Verbs scheitern entsprechend in einer Präpositionalphrase realisiert, in der die konkreten Handlungen des Torhüters zumeist wie in (8) gänzlich unbestimmt bleiben (an […] Pavlenka scheitern). Demgegenüber können in der Schilderung mit abwehren nähere Bestimmungen wie mit dem Fuß oder auch Bewertungen wie überragend vorgenommen werden. Hier ist es das Frameelement Shot, also der abgewehrte Schuss, das nicht sprachlich realisiert werden muss.[7]
Durch das jeweilige Framing wird also nicht nur die Perspektive entweder des angreifenden oder des verteidigenden Teams eingenommen, sondern schon aufgrund der Valenzmuster wird der Beitrag des jeweils eigenen Spielers besonders fokussiert und der des anderen tendenziell in den Hintergrund gerückt. Neben die Perspektivierungsdimension der Auswahl eines Frames tritt die weitere Dimension, dass die in einer Äußerung realisierten bzw. nicht-realisierten Frameelemente zur Perspektivierung beitragen, indem unterschiedliche Aspekte des Geschehens als salient dargestellt werden. Damit aber wird auch eine Grundlage für je unterschiedliche Bewertungen geschaffen. Aus Sicht des angreifenden Teams wird die Vorbereitung des Torschusses mit der Phrase ein gutes Auge beweisen positiv bewertet und wird mit dem adversativen Konnektor allerdings in Opposition zum anschließenden Scheitern gesetzt. Aus Sicht des verteidigenden Teams wird dagegen die Abwehr durch das Adjektiv überragend, aber auch durch das Substantiv Glanztat und die abschließende Exklamativkonstruktion Was für ein Torwart! (Meier 2019a: 164) positiv bewertet. Die in den Ausdrücken scheitern bzw. abwehren angelegten Perspektivierungen werden so zu kohärenten Bewertungen ausgebaut.
Im Korpus finden sich noch weitere Beispiele dafür, dass bei nicht verwandelten Torschüssen über das jeweilige Framing Raum für Bewertungen geschaffen wird. Im folgenden Beispiel wird ein Angriff des VfL Wolfsburg im Spiel gegen Eintracht Frankfurt geschildert:
(9) Richtig gefährlich wurde es dann aber in Minute 20: Dieses Mal hatte Arnold mit einem glänzenden Pass auf Jerome Roussillon eingeleitet, nach dessen Hereingabe Josip Brekalo aber aus zehn Metern am stark reagierenden Trapp [scheiterte]shoot_at. (WOB : SGE 1:2)
Bis dahin hatten die Frankfurter Jungs zwar den griffigeren Auftakt erwischt, die größte Gelegenheit hatten aber die Grünen, als Jerome Roussillon Josip Brekalo bediente, dessen Schuss Kevin Trapp mit den Fingerspitzen [über die Latte lenken]Intervene konnte (20.). (WOB : SGE 1:2)
Auch hier wird aus Sicht des angreifenden Teams die Vorbereitung mit glänzender Pass positiv bewertet, während die komplementäre Schilderung diesen Teil des Angriffs überhaupt nicht erwähnt. Die Intervention des Torhüters wird hier anders als in (8) zwar auch aus der Perspektive des angreifenden Teams durch die Partizipialphrase stark reagierend bewertet. Gegenüber der dramatisierenden Beschreibung mit den Fingerspitzen über die Latte lenken, die durch das Modalverb können zudem als Ausdruck besonderen Vermögens ausgewiesen wird, bleibt die Beschreibung der Torwartreaktion aus Sicht des angreifenden Teams aber eher vage. Ein vergleichbar subtiler Unterschied findet sich in den Berichten zur Partie Gladbach gegen Bayern. Aus der Perspektive des angreifenden Teams heißt es, dass der Torhüter „den Ball gerade noch so von der Linie [kratzte]“ (BMG : FCB, 2:1). Im komplementären Bericht wird formuliert, dass der Torhüter „das Spielgerät aus dem linken Eck [fischt]“ (BMG : FCB, 2:1). Dies wird zusammenfassend als „Glanztat“ beschrieben – eine Deutung, die mit dem Adverbial gerade noch so aus dem anderen Bericht kaum verträglich wäre.
Neben den nicht verwandelten Torschüssen sind auch die erzielten Tore (Szenario-Frame Goal) interessante Szenen, die je nach Perspektive unterschiedlich geframet werden. Im folgenden Beispiel wird der Führungstreffer von SC Paderborn im Auswärtsspiel gegen den VfL Wolfsburg geschildert, zunächst aus der Perspektive des torkassierenden und dann des torerzielenden Teams:
(10) Mit seinem ersten Angriff ging der Aufsteiger eiskalt in Front: Im Anschluss an einen schnell ausgeführten Einwurf erhielt Oliveira Souza das Leder von Streli Mamba und zog aus 20 Metern direkt ab. Gegen den strammen Schuss des Brasilianers ins linke Eck war VfL-Schlussmann Koen Casteels chancenlos. (WOB : SCP, 1:1)
Ein schnell ausgeführter Einwurf kam über zwei Stationen zu Souza, der platziert abzog und sein erstes Saisontor erzielte (12.) (WOB : SCP, 1:1)
Aus der Sicht des VfL Wolfsburg, der das Tor hinnehmen muss, wird der Torschuss als strammer Schuss beschrieben, gegenüber dem der Torwart chancenlos ist. Damit wird zum einen die Qualität der gegnerischen Aktion herausgestellt (der schließlich auch das Attribut eiskalt zugeschrieben wird), zum anderen aber wird so auch deutlich gemacht, dass der Torhüter keine Schuld am Gegentreffer trägt.[8] Auf Seiten des torerzielenden Vereins kommt der Torhüter dagegen überhaupt nicht vor, im Fokus steht allein der Torschütze und sein platzierter Schuss. Auch hier konstituiert also die Realisierung bzw. Nicht-Realisierung von Frame-Elementen die Perspektivierung mit.
Aber auch wenn eine Szene nicht mit unmittelbar komplementären Frames (wie etwa Intervene und Shoot_at) geschildert wird, sondern jeweils der gleiche Frame aufgerufen wird, ergeben sich gleichwohl Möglichkeiten der Perspektivierung und mithin der Bewertung. Das kann am folgenden Beispiel gezeigt werden, in dem der späte Siegtreffer von Eintracht Frankfurt im Spiel gegen VfL Wolfsburg beschrieben wird:
(11) Der eingewechselte Dost hatte im Strafraum klug per Kopf zurückgelegt, der heranrauschende Kamada verwandelte die Kugel unhaltbar für Casteels im langen rechten Eck (85.) (WOB : SGE 1:2)
Der groß gewachsene Niederländer erwies sich sogleich [nach seiner Einwechslung; SMV] als Volltreffer, als er einen langen Ball von Kostic auf den nachgerückten Kamada ablegte, der voller Überzeugung zur neuerlichen Führung einschob (85.) (WOB : SGE 1:2)
Aus der Sicht des Teams, das den Gegentreffer hinnehmen muss, wird betont, dass der Torschuss, den man sich angesichts des heranrauschenden Torschützen als sehr schnell vorstellen darf, für den Torhüter ohnehin unhaltbar gewesen ist. In der Schilderung aus Sicht des torerzielenden Teams wird dagegen allein der Torschütze in den Fokus gerückt, der voller Überzeugung das Tor erzielt. Die Erklärung für den gelungenen Torschuss wird hier also, um einmal diese Ethnokategorie des Fußballs zu bemühen, in der Mentalität des Torschützen gesucht. Im Kicktionary wird unhaltbar dem Frame Save mit dem Frame-Element Goalkeeper zugeordnet. Dadurch, dass dieser Frame überhaupt in die Schilderung eingebracht wird, wird also, wenn auch nur in einer Präpositionalphrase wie für Casteels, der Torhüter als Akteur erwähnt, während er in der komplementären Schilderung überhaupt nicht vorkommt. In einem anderen Bericht heißt es aus der Perspektive des torkassierenden Teams, dass „Thuram nur noch den Fuß hinhalten [musste]“ (B04 : BMG, 1:2). Im komplementären Bericht hingegen „drückt Thuram [die Hereingabe] aus kurzer Distanz über die Linie (B04 : BMG, 1:2), was ebenfalls die Eigenleistung des Torschützen ungleich stärker betont.
Ähnliches lässt sich auch für den Szenario-Frame Foul zeigen. Besonders eindrücklich ist dies bei Sanktionen wie Strafstößen, deren Berechtigung von den beteiligten Teams und ihren Fans schon während der Spiele zumeist sehr unterschiedlich beurteilt wird. Das zeigt sich auch in den Spielberichten, wie etwa die folgenden Beispiele zeigen. Sie schildern das Foulspiel seitens eines Wolfsburgers, das dem zur Führung verwandelten Strafstoß der Frankfurter Gegner vorausgegangen ist:
(12) Marin Pongracic hatte nach einer flachen Eintracht-Hereingabe von rechts den durchstartenden Silva leicht gehalten, der dieses Geschenk dankend annahm. (WOB : SGE 1:2)
Marin Pongracic hatte zuvor nach einer scharfen Hereingabe von Kohr den Portugiesen nur mit einem regelwidrigen Klammergriff am Einschuss hindern können (26.). (WOB : SGE 1:2)
Aus Sicht des sanktionierten Teams besteht das Foul lediglich in leichtem Halten. Mit der Deutung, dass dies ein dankbar angenommenes Geschenk sei, wird zu verstehen gegeben, dass der gegebene Strafstoß aber auch auf das Verhalten des Gefoulten – womöglich ein demonstrativer Sturz im Strafraum – zurückzuführen ist. Ganz anders dagegen aus der Sicht des Teams des Gefoulten: Hier ist zum einen von einem regelwidrigen Klammergriff die Rede, der den ansonsten sicheren Torerfolg verhindert habe, was die anschließende Sanktion legitimiert. Zum anderen wird dieser Klammergriff, erkennbar an der Präposition mit, als Mittel zum Zweck gerahmt, als intentionale Verhinderung eines sonst sicheren Torerfolges. Auch hierdurch wird der Schweregrad des Vergehens noch einmal unterstrichen. Auch wenn sich hier keine komplementär perspektivierenden Frames und auch keine klar unterscheidbaren Realisierungen von Frame-Elementen aufzeigen lassen, können durch die konkrete textuelle Realisierung subtile Perspektivierungen vorgenommen werden.
In vergleichbarer Weise werden auch Fälle von Abseits unterschiedlich geschildert. Im Bericht des Vereins, dessen Treffer aberkannt wurde, heißt es, der „Schiedsrichter […] wertete eine Abseitsstellung von Kevin Volland“ (B04 : FCU, 2:0), wohingegen es im Berichte der Gegenseite heißt, dass sich Volland „in Abseitsposition“ befunden habe und der Schiedsrichter „dem Treffer zu Recht die Anerkennung verweigerte“ (B04 : FCU, 2:0). Während die Formulierung in Abseitsposition präsupponiert, dass diese tatsächlich vorliegt, erscheint eben dies auf der Gegenseite lediglich als Ergebnis einer – möglicherweise auch falschen – Wertung.
Schließlich zeigen sich bei der dichten Lektüre der Spielberichte auch auf die gesamten Spiele bezogene Framings. So ist etwa in einem Bericht über eine Heimniederlage von einer „hektischen und aus Dortmunder Sicht insgesamt zu fehlerbehafteten Partie“ (BVB : M05, 0:2) die Rede, im komplementären Bericht dagegen von einer „disziplinierten, leidenschaftlichen und taktisch klugen Leistung“ (BVB : M05, 0:2). Beide Seiten sind offenbar darauf bedacht, den Beitrag des Gegners am Spielergebnis herunterzuspielen. Aus raumlinguistischer Perspektive aufschlussreich ist der folgende Beleg:
(13) AUFHOLJAGD BLEIBT UNBELOHNT! Trotz großer Moral musste sich Hertha BSC […] der TSG Hoffenheim mit 2:3 geschlagen geben. (BSC : TSG, 2:3)
Was für ein Sieg: Die TSG Hoffenheim hat 3:2 (2:0) bei Hertha BSC gewonnen. Nach einer 2:0-Führung der TSG zur Pause kam Berlin zurück, doch Benjamin Hübner erzielte rund zehn Minuten vor Schluss den Siegtreffer. (BSC : TSG, 2:3)
Die Beschreibungen insbesondere der Treffer zum 1:2 und 2:2 als Aufholjagd und zurückkommen sind beide raummetaphorisch unterlegt in einer für die Sprache des Fußballs durchaus typischen Wiese (Küster 2010), konzeptualisieren das Geschehen aber einerseits aus der Perspektive des zurückliegenden Teams und andererseits aus der des führenden Teams. Wie in der linguistischen Metapherntheorie vielfach gezeigt wurde, heben Metaphern als kognitive Projektionsstrukturen bestimmte Aspekte besonders hervor und rücken dagegen andere in den Hintergrund („Highlighting and Hiding“, s. Lakoff/Johnson 2003: 10–13; Spieß 2017: 99). Auch Metaphern können deshalb perspektivierend wirken und z. B. je nach Quelldomäne ein Geschehen ganz unterschiedlich profilieren. Ungleich stärker betont in den Belegen unter (13) der Ausdruck Aufholjagd die besondere Leistung des Teams, legt den Fokus auf Kraft und Geschwindigkeit sowie eine gewisse Kampfentschlossenheit und wird als Ausdruck großer Moral ausgegeben, die gleichwohl unbelohnt bleibt. Passend hierzu zeigt eine Prüfung aller 20 Belege für das Lexem Aufholjagd, dass es ausschließlich in Berichten der ‚aufholenden‘ und nicht der ‚eingeholten‘ Teams verwendet wird.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass sich bei der Beschreibung einzelner Spielszenen, aber auch längerer Spielphasen verschiedene Möglichkeiten des divergierenden Framings ergeben. Es können komplementäre, d. h. einander ausschließende Frames aufgerufen werden, so dass jeweils einander entgegengesetzten Perspektiven des angreifenden bzw. des verteidigenden Teams eingenommen werden und sich Kontrastierungen wie scheitern – abwehren oder vergeben – parieren als Perspektivierungen eines übergeordneten Szenario-Frames ergeben.[9] Es sind aber auch eher graduell verschiedene Framings möglich. Bei vergebenen Torchancen kann der Torhüter Erwähnung finden oder nicht und so die Fehlleistung des schießenden Spielers mehr oder weniger stark in den Blick gerückt werden. Hier sind es also die realisierten bzw. nicht-realisierten Frameelemente, die zur Perspektivierung beitragen. Einen Torschuss als unhaltbar zu beschreiben, rahmt diesen anders und nimmt auf andere Aspekte der Szene Bezug, als wenn er bloß als stramm, platziert o. ä. beschrieben wird. Ein Foul kann je nach Beschreibung mehr oder weniger schwerwiegend und die nachfolgende Sanktion somit als mehr oder weniger berechtigt erscheinen. In der Art und Weise, wie und mit welchen Attributen Torschüsse und Torschützen einerseits sowie Torhüter und ihre (Nicht-)Beteiligung andererseits geschildert werden, welche Aspekte der abstrakten Szene eines erzielten Tores also fokussiert werden und welche eher im Hintergrund bleiben und wie und mit welchen Highlighting-Effekten dies möglicherweise auch metaphorisch gefasst wird, ergeben sich somit vielfältige Möglichkeiten der subtilen Bewertung und Parteinahme.
Zur Systematisierung der Befunde können die jeweiligen, analytisch unterscheidbaren Perspektivierungsdimensionen, die im hier untersuchten Korpus herausgearbeitet werden konnten, in einer (vorläufigen) Typologie zusammengefasst werden. Zu beachten ist, dass die Kategorien nicht distinkt sind und sich ggf. auch verbinden können (s. u. Tab. 2).
Zur Erfassung dieser Perspektivierungsdimensionen sind auch in methodischer Hinsicht unterschiedliche Zugänge gefordert. Während Perspektivierungen durch die Wahl komplementärer Frames auch korpuslinguistisch-quantifizierend und, wie in 4.2 gezeigt, versuchsweise auch automatisiert erfasst werden können, können Perspektivierungen etwa durch (Nicht-)Realisierung der Frameelemente oder noch subtilere Framings nur durch präzise Lektüre erfasst werden. Eine solide lexikographische Basis vorausgesetzt, sind nach manueller semantischer Annotation auch quantitative Auswertungen etwa der realisierten Frameelemente möglich (Ziem/ Pentzold/Fraas 2018: 168–175). Doch auch jenseits solcher quantifizierbarer Phänomene bieten die hier untersuchten Texte reichhaltiges Anschauungsmaterial für subtile Perspektivierungen, die sich wohl nur durch feingliedrige Interpretation sprachlicher Details in ihrem Textzusammenhang aufzeigen lassen.
Perspektivierungsdimension |
Beispiel |
Auswahl eines Frames, der einen übergeordneten Szenario-Frame in bestimmter Weise perspektiviert |
Lead (etwa führen) vs. Trail (etwa zurückliegen) als komplementäre Perspektivierungen des Szenario-Frames State_Of_Match |
Realisierung bzw. Nicht-Realisierung von Frameelementen |
überragend abwehren (Frame-Element Shot wird nicht realisiert); aus kurzer Distanz vergeben (Frame-Element Goalkeeper wird nicht realisiert) |
Auswahl der frameevozierenden lexikalischen Einheiten |
leichtes Halten vs. regelwidriger Klammergriff als Evozierungen des Frames Foul |
lexikalische Realisierung nicht-obligatorischer Frameelemente zur wertenden Ausschmückung |
eiskalt, überragend verwandeln, gerade noch so über die Latte lenken u. ä. |
Metaphern mit Highlighting-Effekten |
Aufholjagd, Balleroberung, Sieg einfahren, in der Tabelle abrutschen u. ä. |
Tabelle 2: Perspektivierungsdimensionen
5 Fazit: Fußballwissen als Bewertungswissen
Im vorliegenden Beitrag habe ich vereinseigene, von Grund auf parteiische Fußballspielberichte untersucht und dafür ein Korpus gebildet, in dem einzelne Fußballspiele jeweils aus der Perspektive der beiden beteiligten Teams beschrieben werden. Gerade im Vergleich von Spielberichten zweier gegnerischer Vereine lässt sich nachvollziehen, dass diese je unterschiedliche Fokussierungen und Perspektivierungen des Spielgeschehens vornehmen. Diese werden insbesondere zum Zwecke des Bewertens und der Parteinahme eingesetzt, indem die Aktionen des eigenen Teams anders gerahmt werden als die des Gegners und dadurch etwa die eigene Leistung stärker in den Fokus rücken. Durch die je verschiedenen lexikalischen Wahlen der beiden Perspektiven auf das Geschehen werden mal diametral entgegengesetzte, mal nur nuancenhaft verschiedene Framings vorgenommen, die aber alle je unterschiedliche Bewertungen erlauben.
Im verstehensrelevanten Wissen, welches das typische Vokabular der Spielberichte sowohl aus Produktions- als auch aus Rezeptionsperspektive fundiert und das es in einem framesemantischen Zugriff zu modellieren gilt, spielt darum Bewertungswissen eine zentrale Rolle. Wie auch Croft/Cruse (2004: 18) betonen, sind es gerade wertende Ausdrücke, die sich für divergierendes Framing eignen und den referenzierten Sachverhalt ganz unterschiedlich profilieren können (vgl. auch Czulo/Nyhuis/Weyell 2020: 18). Umgekehrt bieten sich für die perspektivierten medialen Darstellungen der Spiele insbesondere solche Ausdrücke an, welche über die objektive Schilderung der Ereignisse hinaus subtile Wertungen erlauben. Die hier unternommenen framesemantischen Analysen konnten – gerade im Vergleich beider Perspektiven – zeigen, dass über genuin wertenden Lexeme (Kamp 2007) wie etwa sensationell hinaus auch in den eher neutral wirkenden Beschreibungen einzelner Spielszenen bereits Wertungen angelegt sind und dann zu kohärenten Bewertungstexten ausgebaut werden können.
Geht man davon aus, dass journalistisches Fußballwissen, das in Spielberichten ausgestellt werden muss, auch in der Fähigkeit besteht, unter Verwendung des passenden Vokabulars adäquate und zugleich adressat*innengerechte Schilderungen von Spielereignissen zu liefern und die hier platzierten Verstehenshinweise auch richtig deuten zu können, so tritt Bewertungswissen als zentraler Teil dieses Fußballwissens hervor. Nicht nur korrekt verbalisieren zu können, was auf dem Platz passiert, macht das Wissen aus und weist die Autor*innen der Spielberichte als legitime Expert*innen aus. Entscheidend ist auch, dies so tun zu können, dass sich parteiische Lesende zugleich informiert als auch in ihrer Parteinahme adressiert sehen.
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[1] https://osf.io/pn58x/ (30.4.2024)
[2] https://framenet-constructicon.hhu.de (30.4.2024)
[3] Als Korpussiglen werden die jeweilige Partie (unter Rückgriff auf die üblichen Vereinskürzel) und das Ergebnis genannt. Die Unterstreichung zeigt an, aus welchem der beiden Spielberichte der Beleg stammt, bei „M05 : B04“ also aus dem Bericht von Mainz 05 über das Heimspiel gegen Bayer Leverkusen.
[5] Das Verfahren ist natürlich fehleranfällig. Einzelne Lemmata, die Stichproben zufolge besonders häufig zu Fehlannotationen führen wie etwa kurz, das weniger, wie im Kicktionary eigentlich vorgesehen, in der Verbindung kurze Ecke als in Wendungen wie kurz darauf verwendet wird, wurden manuell ausgenommen. Ergänzt wurde hingegen das frequente Substantiv Abschluss, das als Synonym zu Versuch dem Frame Shot zugeordnet wird.
[6] http://www.kicktionary.de/Shot_Scenario.html (30.4.2024)
[7] Es handelt sich bei der Verwendung von abwehren ohne das eigentlich obligatorische Akkusativobjekt um einen für die Sportsprache typischen Fall von textsortengebunder Valenzreduktion (Simmler 2009: 2308).
[8] Im Korpus finden sich insgesamt sieben Belege für chancenlos sowie weitere 43 Belege für keine Chance im in Bezug auf Torhüter bei Torschüssen. Davon entfallen 5+29 auf Schilderungen von Gegentreffern (ca. 70 %) und 2+14 auf selbst erzielte Tore (ca. 30 %). Es scheint sich also um ein probates Mittel zu handeln, um insbesondere Gegentreffer in für den eigenen Torhüter gesichtswahrender Weise zu beschreiben.
[9] Auch die deiktischen Orientierungen müssen jeweils aus einer bestimmten Perspektive formuliert werden, die auch ganz explizit gemacht werden kann: „Uth trat an, aber Baumann sprang aus seiner Sicht in die linke Ecke und parierte den Versuch aus elf Metern“ (TSG : KOE, 3:1; Hervorh. SMV).