Vol 6 (2024), No 1: 50–55

DOI: 10.21248/jfml.2024.64

Rezension

Neuland, Eva (2023): Soziolinguistik der deutschen Sprache. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto.  € 24,90  ISBN 978-3-8252-4455-2  DOI: 10.36198/9783838544557

Nicole Palliwoda

Die Verschränkung von Sprache und Gesellschaft wird in jüngster Zeit besonders deutlich, wenn z. B. über den Gebrauch oder die Verwendung von u. a. gendersensibler Sprache diskutiert wird (vgl. u. a. Müller-Spitzer/Ochs/Rüdiger 2024). Diese gegenseitige Beeinflussung wird u. a. in der Soziolinguistik erforscht und die von Eva Neuland vorgelegte Publikation bietet einen umfassenden Einblick in das komplexe und interdisziplinäre Feld der Soziolinguistik. Dabei kann Neuland selbst in diesem Bereich auf eine langjährige Forschungsexpertise zurückgreifen (vgl. u. a. Neuland 2018, 2016, 2015, Neuland/Schlobinski 2017, Ehrhardt/Neuland 2017). Einführungen in das Forschungsfeld der Soziolinguistik bestehen durchaus, jedoch liegen diese bereits einige Jahre zurück (vgl. u. a. Löffler 2016) oder nehmen zum Teil nur bestimmte oder spezifische Aspekte des soziolinguistischen Forschungsfeldes in Augenschein (vgl. u. a. Felder 2016 zur Varietätenlinguistik). Daher möchte Neuland mit dieser Einführung

die fortdauernde Aktualität von Fragestellungen und Gegenstandsfeldern der Soziolinguistik aufzeigen, wie auch deren Veränderungen im gesellschaftlichen Wandel. Neue Fragestellungen und Gegenstandsfelder sind mit soziokulturellen Entwicklungen und Veränderungen im Variationsgefüge im heutigen Deutsch hinzugetreten (v. a. [...], Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt, [...], Sprachgebrauch in neuen Medien, postmoderne Vergemeinschaftungs- und Kommunikationsformen und Formen der Stilisierung, Umgang mit Political Correctness), neue Beschreibungsverfahren, v. a. der Interaktionslinguistik wie der Analyse gruppenspezifischer Formen von Schriftlichkeit, sind vorgelegt und eröffnen Perspektiven für Studium und Lehre und Anschlussmöglichkeiten an aktuelle Forschungsentwicklungen. (S. 11)

Die Einführung ist insgesamt in drei Großkapitel gegliedert (I Grundzüge und Grundlagen, II Ausgewählte Forschungsfelder, III Anwendungsfelder, exkl. eines Vor- und Nachworts, einem Register, des Abbildungs- und Tabellenverzeichnisses).

Mit dem Kapitel I Grundzüge und Grundlagen führt Neuland in den komplexen Gegenstandsbereich ein, deren Ausgangspunkt u. a. die Entwicklungen und Forschungsarbeiten aus den Vereinigten Staaten bilden (vgl. S. 17), zeichnet die Entstehung und den geschichtlichen Kontext der Disziplin sowie Überschneidungen und (Weiter-)Entwicklungen nach. Zudem folgt die vorliegende Publikation „einer kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise“ (S. 25): Als „drei wesentliche soziolinguistische Themenschwerpunkte und Kerngebiete der Soziolinguistik“ (S. 25) hebt Neuland besonders die Felder „Sprachgebrauch und soziale Schichten, Sprachgebrauch und Geschlecht und Sprachgebrauch und Migration“ (S. 25) hervor, die sich auf entsprechende, soziokulturelle Kontexte zurückführen lassen und so auch die Verschränkung von Sprache mit außersprachlichen Kontexten, kulturellen, sozialen Bedingungen verdeutlichen. Diese und auch weitere Themen, die neueren Datums sind, wie bspw. der Bereich Digitalisierung und die Entstehung sozialer Medien, werden dann im zweiten Kapitel weiter erläutert (vgl. Kap. I.1).

Das Kapitel I geht außerdem auf „grundlegende[…] Forschungsparadigmen und wesentliche[…] Theorieansätze“ ein, „die für die Entwicklung der Soziolinguistik in Deutschland bedeutsam sind“ (S. 31). Hierzu zählt besonders das Einsetzen der Erforschung der gesprochenen Sprache als wichtige Voraussetzung zur Auseinandersetzung mit Sprache und sozialen Kontexten, aber auch Erkenntnisse zur Bedeutung subjektiver Faktoren (Spracheinstellungsforschung) und der Einfluss sprachexterner Faktoren auf Sprachwandelerscheinungen, die sich dann auch in den weiterführenden Kapiteln zeigen. Zudem werden im Unterkapitel Soziolinguistische Theorieansätze (Sprachbarrierenforschung, Variationslinguistik, inter­aktionale Soziolinguistik, Soziologie) die „jeweiligen Hauptvertreter und […] einige Grundgedanken und Grundbegriffe“ in komprimierter Form angeführt, „wodurch der Aspekt­reichtum der jeweiligen Ansätze leider nur verkürzt und in Auswahl dargestellt werden kann“ (S. 44). Das Kapitel I schließt mit einem Unterkapitel zu den Forschungsmethoden, in dem noch einmal deutlich gemacht wird, dass „die Soziolinguistik Sprachgebrauchsforschung und mithin eine empirische Disziplin“ ist, da „sie sich mit sozialen Differenzen im Sprachgebrauch beschäftigt“ (S. 73). Neuland hält weiter fest:

Die Empirie, v. a. in interaktionalen Kontexten, hatten wir daher auch zu den konstitutiven Kennzeichen der hier dargestellten Soziolinguistik gerechnet […]. Gleichwohl gehen wir hier von einem offenen Empirieverständnis aus, das nicht nur quantitative wie qualitative Verfahrensweisen unterscheidet, sondern auch nach den theoretischen Vorannahmen empirischer Untersuchungen fragt. (S. 74)

Das Kapitel II Ausgewählte Forschungsfelder macht den Löwenanteil der Publikation aus. Daraus wird deutlich, dass besonders hierin der Fokus der Einführung liegt. Insgesamt greift Neuland neun Forschungsfelder heraus:

        II.1 Sprache und soziale Ungleichheit

        II.2 Sprachgebrauch und Region

        II.3 Sprachgebrauch und Politik

        II.4 Sprachgebrauch und Geschlecht

        II.5 Sprachgebrauch, Lebensalter und Generation

        II.6 Sprachgebrauch sozialer Gruppen

        II.7 Sprachkontakt, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität

        II.8 Sprachgebrauch und soziale Medien

        II.9 Sprachliche Umgangsformen

Für diese beschreibt sie jeweils deren theoretische Hintergründe sowie Begrifflichkeiten; beginnend mit den Anfängen der soziolinguistischen Forschungsarbeit bis hin zu neu hinzugekommenen Forschungsgebieten und Gegenstandsfeldern, die sich aufgrund soziokultureller Veränderungen, neuer Entwicklungen etc. herausgebildet haben und somit auch das Variationsspektrum des Deutschen verändert bzw. ausgebaut haben. Neuland kann auf diese Weise sehr gut die Verschränkung von Sprache und sozialen Kontexten sowie Gesellschaft darlegen.

Das Vorgehen und der Aufbau der entsprechenden Unterkapitel ist dabei immer ähnlich, was besonders für die Leser*innenführung durch das Einführungswerk hilfreich ist: von den anfänglichen Untersuchungen und Erkenntnissen zu den rezentesten. Dabei kommt es regelmäßig zu exemplarischen Analysen an empirischem Material, was einerseits einen guten Überblick vermittelt. Andererseits regen einige Ausführungen auch zum eigenen (studentischen) Forschen an (vgl. z. B. S. 227). Zudem endet jedes Unterkapitel mit einer sehr kurzen Zusammenfassung, die die behandelten Inhalte des Unterkapitels stichpunktartig aufgreift, und mit einer Literaturliste. Daher kommt die vorgelegte Publikation auch ohne eine Gesamtbibliographie aus.

Das im Vorwort gesetzte Ziel, die fortwährende Aktualität der Soziolinguistik anhand der neuen Forschungsfelder und Gegenstandsbereiche herauszustellen (vgl. S. 11), wird u. a. auch durch den Einbezug medienlinguistischer Themen erreicht und verdeutlicht auf diese Weise, wie bspw. Medien- und Soziolinguistik miteinander verschränkt sind und beide durch ihre unterschiedlichen Impulse voneinander profitieren können. Hierbei stehen besonders die sozialen Medien im Fokus bzw. der Sprachgebrauch und Strategien der Nutzer*innen innerhalb dieser unterschiedlichen Formate (vgl. u. a. Kap. II.8 Sprachgebrauch und soziale Medien), da die Nutzung sozialer Plattformen in den letzten Jahren sehr zugenommen hat (vgl. S. 262) und daran auch Chancen und Herausforderungen (wie etwa Hate Speech (vgl. S. 272) und Cybermobbing (vgl. S. 274)) gekoppelt sind.

Mit dem letzten Kapitel III Anwendungsfelder wird die Einführung abgerundet. Es werden die Felder Schule und Deutschunterricht (vgl. Kap. III.1), Sprachkritik und Gesellschaft (vgl. Kap. III.2) sowie Soziolinguistik und Sprachwandel (vgl. Kap. III.3) aufgegriffen, in denen soziolinguistische Erkenntnisse angewandt wurden/werden und die wiederum Anschlussmöglichkeiten für weiterführende Forschungsfragen etc. bieten. Dabei spielen anfängliche wie auch rezente Erkenntnisse eine wichtige Rolle.

Die überblicksartigen Ausführungen werden zum Teil mit Abbildungen und Tabellen unterstützt, die zwar nicht immer konsistent eingebunden werden (vgl. z. B. auf S. 46: Tab. I.2.1; S. 52–53: Abb. I.2.4; S. 128: Abb. II.2.6 oder S. 349–350: Abb. III.3.1.2), jedoch das Beschriebene hilfreich unterstützen. Ganz ungeachtet der Expertise der Autorin wären zudem an einigen Stellen weitere Verweise bzw. Belege für die entsprechenden Ausführungen wünschenswert gewesen, um diese zu belegen und um für Einsteiger*innen eine breitere Orientierung in der Forschungsliteratur zu geben (vgl. z. B. S. 173, 191, 241), sowie der Verweis auf die aktuellere Literatur (so etwa im Kap. II.2 Sprachgebrauch und Region auf jüngere Publikationen wie z. B. Hoffmeister/Sauer 2022, Niebaum/Macha 2014, Schmidt/Herrgen 2011).

Unabhängig davon und einigen formalen Inkonsistenzen (bspw. Kapitel- und Abbildungs- sowie Tabellenbeschriftungen) liefert die Publikation einen guten Überblick über und einen guten Einstieg in das komplexe Forschungsfeld der Soziolinguistik. Die Einführung hält genau das, was im Vorwort ankündigt wurde:

Der Band eignet sich daher als Seminargrundlage und Überblickslektüre, […]. […] Die einzelnen Kapitel orientieren sich, soweit möglich und sachdienlich, an der chronologischen Folge der Forschungsentwicklung, bemühen sich um ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Empirie in der gebotenen komprimierten Form [...]. (S. 12)

Aufgrund der thematischen Zusammenstellung lassen sich die angeführten Forschungs- und Anwendungsfelder z. B. im Seminar zum Teil auch losgelöst und einzeln bearbeiten und vertiefen. Die Publikation bietet somit eine gute Grundlage, um sich in den Bereich der Soziolinguistik einzuarbeiten, um einen Einblick in das breite Spektrum und die unterschiedlichen Forschungsfelder zu erhalten (vgl. S. 12). Zudem wird durch die unterschiedlichen Forschungs- und Anwendungsfelder ersichtlich, wie sich die unterschiedlichen Ausrichtungen und Fachdisziplinen der Linguistik gegenseitig beeinflussen, bedingen und voneinander profitieren (z. B. Variationslinguistik, Varietätenlinguistik, Medienlinguistik etc.).

Literatur

Ehrhardt, Claus/Neuland, Eva (Hg.) (2017): Sprachliche Höflichkeit. Historische, aktuelle und künftige Perspektiven. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.

Felder, Ekkehardt (2016): Einführung in die Varietätenlinguistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Germanistik kompakt).

Niebaum, Hermann/Macha, Jürgen (2014): Einführung in die Dialektologie des Deutschen. 3. Auflage. Berlin, Boston: De Gruyter (Germanistische Arbeitsheft, 37).

DOI: https://doi.org/10.1515/9783110338713

Löffler, Heinrich (2016): Germanistische Soziolinguistik. 5. Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag (Grundlagen der Germanistik, 28).

Müller-Spitzer, Carolin/Ochs, Samira/Rüdiger, Jan Oliver (2024): Auf der Suche nach Genderzeichen: Die Hamburger Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ und die Verwendung von Genderzeichen auf der Webseite der Stadt Hamburg. In: Linguistische Werkstattberichte.

DOI: https://doi.org/10.58079/vm3x

Neuland, Eva (2018): Jugendsprache. 2. Auflage. Tübingen: Francke.

Neuland, Eva (2016): Deutsche Schülersprache: Untersuchungen zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen von Jugendlichen in Deutschland. Frankfurt a.M.: Peter Lang (Sprache – Kommunikation – Kultur: Soziolinguistische Beiträge, 15).

Neuland, Eva (Hg.) (2015): Sprache der Generationen. 2. Auflage. Berlin: Peter Lang Verlag.

Neuland, Eva/Schlobinski, Peter (Hg.) (2017): Handbuch Sprache in sozialen Gruppen. Berlin, Boston: De Gruyter (Sprachwissen, 12).

Sauer, Verena/Hoffmeister, Toke (2022): Wahrnehmungsdialektologie. Eine Einführung. Berlin, Boston: De Gruyter (Germanistische Arbeitshefte, 50).

DOI: https://doi.org/10.1515/9783110633535

Schmidt, Jürgen Erich/Herrgen, Joachim (2011): Sprachdynamik. Ei­ne Einführung in die moderne Regionalsprachenforschung. Berlin: Erich Schmidt (Grundlagen der Germanistik, 49).