Vol 1 (2018), No 1: 35–41

DOI: 10.21248/jfml.2018.8

Rezension

Pappert, Steffen/Michel, Sascha (Hg.) (2018): Multimodale Kommunikation im öffentlichen Raum. Texte und Textsorten zwischen Tradition und Innovation. Stuttgart: ibidem-Verlag. 232 Seiten. 34,90 € ISBN: 978-3-8382-1156-5.

Janina Wildfeuer

„Der Trend zum multimodalen Text ist allgegenwärtig“ (7), betonen die Herausgeber Steffen Pappert und Sascha Michel in der Einleitung zum Sammelband Multimodale Kommunikation in öffentlichen Räumen und eröffnen so die Diskussion unterschiedlichster text- und medienlinguistischer Analysen komplexer multimodaler Textsorten. Der Band folgt damit ganz programmatisch dem auch innerhalb der germanistischen Linguistik zu verzeichnenden Trend hin zu einer systematischen Analyse multimodaler Texte.

Wenn auch Kommunikation nicht erst seit kurzem multimodal ist, wird ihre semiotische Komplexität tatsächlich erst seit relativ kurzer Zeit ausführlich diskutiert. Besonders in der deutschsprachigen Forschung sind erst jüngst umfangreichere Bände erschienen, die Expertisen aus der Germanistik, Medienlinguistik und Multimodalitätsforschung zusammenbringen (vgl. Klug/Stöckl 2016; Hess-Lüttich et al. 2017). Im internationalen Kontext liegen dagegen bereits fast drei Jahrzehnte theoretische Konsolidierung und viele konkrete Analysen multimodaler Kommunikation vor (u. a. Kress/van Leeuwen 2001; 2006 [1996]; Royce/Bowcher 2006; O’Halloran/Smith 2011; Jewitt 2014; Wildfeuer 2015).

Dass es dennoch einer „stärkeren Konturierung und weiterführenden Kanonisierung“ (Klug/Stöckl 2016: VIII) bedarf, spiegeln auch die Beiträge im vorliegenden Sammelband wider, jonglieren sie doch überwiegend mit traditionell verankerten Themen der germanistischen Textlinguistik (wie etwa der Textsortenproblematik sowie Fragen der (Inter-)Textualität und Diskursivität) und ihrer Anwendung auf neue Formate und Kontexte. Sie behandeln allerdings vornehmlich Text-Bild-Konstrukte und nur zwei der neun Beiträge diskutieren auch audiovisuelle Artefakte (YouTube-Videos) bzw. Performanzen (Theater). Das ist schade, denn multimodale Kommunikation (auch in öffentlichen Räumen) umfasst doch mehr als nur (gedruckte) Schrift-Bild-Verbindungen! Insbesondere finden viele Formen digitaler und vor allem sozialer Kommunikation im Internet keine Erwähnung, obwohl letzteres selbst als „Inbegriff einer multimodalen Mediengattung“ (7) bezeichnet wird (vgl. auch Bucher 2013: 53).

In der Lektüre der Beiträge wird dann sichtbar, dass sich die Komplexität der untersuchten Kommunikate vor allem um eine weitere Trendrichtung herum ansiedelt: die der Linguistic-Landscape-Forschung. Zugegeben: der Blurb zum Buch setzt dieses Konzept von Beginn an zentral, die Einleitung allerdings orientiert sich vornehmlich am Konzept der Lokalität als eine mehrerer neuerer Dimensionen von Textualität. Auch der Titel suggeriert, dass Lokalität und Multimodalität zentrale Untersuchungsdimensionen des Bandes sind; im Band selbst erfolgt bedauerlicherweise keine weitere Strukturierung der Beiträge anhand dieser Themen. Es ist deswegen etwas mühsam, sich diesen eher versteckt vorhandenen roten Faden des Sammelbands zu erarbeiten. In ihrer Individualität liefern alle Beiträge durch die vor allem germanistisch geprägte Expertise der AutorInnen sicherlich durchaus interessante Einzelergebnisse, die im Folgenden kurz den beiden Hauptthemen zugeordnet werden.

In Wolfgang Kesselheims Beitrag Annoncen an Schwarzen Brettern: Zur Bedeutung des Lektüremoments für die Text(sorten)­linguistik spielt Lokalität sowohl für die analoge als auch digitale Form der Annonce an/auf einem schwarzen Brett eine Rolle und soll mit Blick auf die räumliche Situierung der Lektüresituation in die Textsortenanalyse miteinbezogen werden. Der Autor hebt hervor, dass „es nicht ausreicht, Multimodalität, Materialität und Lokalität additiv zur ‚eigentlichen‘ Textanalyse hinzutreten zu lassen“ (16), sondern sie von Anfang an als notwendige Kriterien der Analyse zu berücksichtigen. Die entsprechend umfangreichere Beschreibungsbreite und -tiefe der Analyse dokumentiert er anhand verschiedener Beispiele, allerdings erfährt gerade Multimodalität in all diesen Analysen die wenigste Aufmerksamkeit. In der Zusammenfassung scheint sie dann sogar vollständig durch ‚Medialität‘ (vgl. dazu die Auflistung von Fix 2008) ersetzt zu werden, ohne dass jedoch ein Vergleich oder eine Gegenüberstellung der beiden Kriterien vorgenommen wird. 

Auch in Georg Weidachers Beitrag Massenbettelbriefe als Knoten in multidimensionalen Textsortennetzen spielt Multimodalität eine marginale Rolle, Lokalität tritt sogar gänzlich in den Hintergrund, geht es doch vorwiegend um eine paradigmatische und syntagmatische Einordnung von Texten in Textsortennetze und eine dimensionale Beschreibung dieser Vernetzung. Eine der vom Autor aufgestellten zwölf Dimensionen dieser Vernetzung ist allerdings die des semiotischen Modus – zugleich eine nicht eindeutige Dimension, ist doch bereits die Definition des semiotischen Modus innerhalb der Multimodalitätsforschung ganz und gar nicht übersichtlich oder einheitlich (vgl. z. B. Kress 2014; Wildfeuer/Bateman 2018). Der Autor diskutiert weder dies noch eine nähere Untersuchung des „unterschiedlichen Ausmaß[es]“ (57) von Multimodalität in den Massenbettelbriefen. 

Ähnlich textsortenorientiert geht Tanja Škerlavaj mit Text und kulturelle Institution. Einige Überlegungen zum Textsortennetz ‚Theater‘ vor und analysiert die Wechselwirkungen zwischen den im Theater genutzten Texten und der durch das Theater repräsentierten kulturellen Institution. Mit einer ausführlichen textlinguistisch-semiotischen Analyse der Textsorte ‚Spielplan‘ offeriert die Autorin eine Perspektive auf den „multimodale[n] und materialitätsbetonte[n] Text“ (64), in der auch die Dimensionen der Lokalität und Ortsgebundenheit Erwähnung finden. Die Analyse fokussiert vor allem auf schriftsprachliche Elemente wie Typographie und lässt Aspekte des Seitenlayouts oder der Farbgestaltung und damit weitere für die Analyse relevante Beiträge der Multimodalitätsforschung (vgl. u. a. Bateman 2008; van Leeuwen 2011) größtenteils außen vor. Eine Nebenbemerkung zum Satz des Bandes bzw. dieses Beitrags: Auch hier scheint Multimodalität noch nicht vollständig ins Augenmerk gerückt zu sein, stehen doch die Abbildungen der diskutierten Beispiele außerhalb des Beitrags, in seinem Anhang, und erfordern mühsames Vor- und Zurückblättern während der Analyse.

Einen erwähnenswert starken Fokus auf nicht-sprachliche Anteile multimodaler Kommunikation, nämlich auf Bilder, legt Simone Heekeren in ihrem Beitrag Popularisieren – Visualisieren – Transkribieren. Überlegungen zu intra- und intertextuellen Verfahren der Wissenschaftsvermittlung in populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln. Ihr Hauptaugenmerk sind Bilder in populär-neurowissenschaftlichen Artikeln und die Frage, mit welchen Verfahren diese Bilder aus wissenschaftlichen Texten heraus rekontextualisiert, readressiert und semantisch sowie funktional verändert werden. Mit Rückgriff auf das Konzept der Transkription (vgl. Jäger 2012) folgt die Autorin vorbildlich grundlegenden Prinzipien multimodaler Analyse mit dem vornehmlichen Ziel, Prozesse der Bedeutungskonstruktion nachzuvollziehen. Lokalität spielt innerhalb dieser Analyse keine Rolle.

Auch Nina-Maria Klug konzentriert sich in ihrem Beitrag Wenn Schlüsseltexte Bilder sind. Aspekte von Intertextualität in Presse und öffentlichem Raum auf Bilder, die als nicht-sprachliche Texte einen wichtigen Beitrag zur Intertextualität im öffentlichen Raum leisten und deswegen in die linguistische Diskursanalyse miteinbezogen werden müssen. Der Autorin zufolge können Bilder als Schlüsseltexte in einem Netz intertextueller Verweise gelten, weswegen ihr spezifisches semiotisches Potenzial analysiert werden soll. Ihre Analysekriterien sind dann genau die unterschiedlichen intermodalen Bezugnahmen (z. B. als Zitat, durch Metatextualisierung oder Transkription), die diese Bilder aufweisen. Fazit der Analyse ist, dass „[a]uch Bilder […] Diskurse je nach eigenem semiotischen Potenzial bereichern […], prägen, lenken und bestimmen“ (127) können und deswegen als „Teil eines genuin multimodalen Diskurses betrachte[t]“ (128) werden müssen. In einer Fußnote zu diesem Fazit bietet die Autorin (als einzige im AutorInnenkollektiv) eine Definition für Multimodalität und betont dabei fortschrittlich die grundsätzliche Eigenschaft, dass der semiotische Charakter kommunikativer Phänomene nicht „per se eine Zeichenmodalität prominent hervorheb[t]“ (128).

Wiederum viel stärker am Raum und damit grundsätzlich am Prinzip der Lokalität interessiert ist Ulrich Schmitz in seinem Beitrag Im Raume lesen wir die Macht. Zeichen der Macht im öffentlichen Raum des Ruhrgebiets. Mit einer Untersuchung von semiotischen Machtverhältnissen bewegt sich der Autor ganz klar im Bereich multimodaler Analyse, geht allerdings auf die multimodalen Spezifika der von ihm diskutierten Schilder in der ‚Linguistic Landscape‘ des Ruhrgebiets nur wenig ein und nimmt eine eher in der traditionellen Semiotik verankerte Typisierung unterschiedlicher Zeichenarten (z. B. regulatorische, transgressive Zeichen) vor. Grundsätzlich stehen der öffentliche Raum sowie unterschiedliche Örtlichkeiten und die regionale Verteilung verschiedener Diskurstypen im Zentrum des Interesses.

Martin Luginbühl und Claudio Scarvaglieris Beitrag Diskursive Interdependenz im Abstimmungskampf. Die Plakate der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und ihre Verarbeitung in verschiedenen Kommunikationsbereichen situiert sich im Bereich der Linguistic-Landscape-Forschung, indem die Wirkung der besprochenen Plakate im öffentlichen Raum analysiert wird. Diese Analyse zieht auch formale und funktionale Kriterien für die Untersuchung einzelner Symbole und graphischer Elemente mit ein. Die Autoren beziehen sich dabei teilweise auf grundlegende Literatur und Konzepte aus der Multimodalitätsforschung (z. B. das Prinzip des Informationsgehalts bei Kress/van Leeuwen 2006), einschlägige Kritik und Probleme in der tatsächlichen Anwendung dieser Konzepte finden aber keine Erwähnung und auch die tatsächliche Analyse der Plakate im Beitrag geht nicht weiter auf diese Konzepte ein.

Ebenfalls mit Plakaten beschäftigen sich Sascha Michel und Steffen Pappert in ihrem Werkstattbericht Wahlplakat-Busting: Kommunikative Spuren der Aneignung von Wahlplakaten im öffentlichen Raum. Fallanalysen – Forschungsfragen – Perspektiven. Die Autoren liefern mit Blick auf einige Fallbeispiele vor allem offene Fragen, die eine ausführliche medienlinguistische Analyse beantworten sollte, um zum Beispiel multimodale Transformationen und Prozesse der Resemiotisierung systematisch zu beschreiben. Damit nehmen die Autoren wichtige Prinzipien multimodaler Artefakte (im öffentlichen Raum) in den Blick und rufen zur weiteren Beschäftigung damit auf.

Abschließend beschäftigt sich Dorothee Meer in ihrem Beitrag Osmotische Werbung im Web 2.0: Die Bewerbung jugendlicher Körper am Beispiel der multimodalen Textsorte „Stylingtutorial“ mit der multimodalen Konstruktion von Identitätsangeboten an Jugendliche. Mit einer detaillierten Analyse eines Korpus von 30 Videos macht die Autorin einmal mehr deutlich, dass „eine Begrenzung des Blicks auf traditionelle Printwerbung die Werberealität moderner Gesellschaften nicht mehr ausreichend erfasst“ (204) und zum Beispiel die von ihr analysierten Identitätsangebote vielfach nur in Teilen verbal und stattdessen durch viele andere Ressourcen prozessiert werden. Der Beitrag offeriert damit ein wertvolles Plädoyer für umfangreichere multimodale Analysen, die eben nicht nur sprachliche Aspekte in Betracht ziehen. 

Nicht nur in Meers Beitrag, sondern in den meisten anderen Kapiteln des Bandes ist der Umgang mit Multimodalität und Lokalität lobenswert unkompliziert. Gerade für ersteres führt diese Lockerheit in der Konsequenz jedoch dazu, dass viele (nicht-sprachliche) Details unbehandelt bleiben und Multimodalität in ihrer Breite nicht ausgeschöpft wird. Entgegen Kress und van Leeuwens Credo (1998: 73), dass Sprache nicht mehr die alleinige Ressource ist, die im Zentrum einer Untersuchung von Kommunikation stehen sollte, spielt diese in fast allen Beiträgen eine dominante Rolle und werden lediglich Text-Bild-Kombinationen gleichwertig behandelt. Es scheint ein bisschen so, als wolle man sich nicht der Gefahr der ‚Abkehr von der Sprache‘ aussetzen. Tatsächlich betont zum Beispiel Nina-Maria Klug, dass es sich schließlich „um linguistische Arbeiten [handelt], deren zentraler Gegenstand nun einmal die Sprache ist“ (114). Sie schließt aber zugleich: „Für ein Verständnis der Sprache ist die Hinzunahme des Bildes als Referenz verstehensnotwendige Voraussetzung“ (114).  Derart progressiv im Umgang mit Multimodalität als auch Lokalität gehen nur wenige Beiträge vor und in vielen anderen Fällen scheinen beide Kriterien eher Randphänomene in einer anders orientierten Auseinandersetzung zu sein. Ausdifferenzierungen des text- und medienlinguistischen Begriffsinventars, die Entwicklung neu(artig)er Methoden oder Instrumentarien und umfangreiche korpusanalytische Bemühungen, die alle semiotischen Ressourcen des multimodalen Textes untersuchen, sind nur vereinzelt erkennbar. Rückgriffe auf bereits vorhandene Ansätze zu gleichen oder ähnlichen wie den im Band diskutierten Analyseobjekten erfolgen ebenfalls eher selten.

Der Band vollführt damit einen – mitunter etwas wackligen – Balanceakt zwischen der Tradition germanistischer Textlinguistik und der Innovation medienlinguistischer Multimodalitäts- und Linguistic-Landscape-Forschung. Nichtsdestotrotz bleibt anzunehmen, dass es vor allem die innovativen Aspekte der Beiträge sind, die Vorbildcharakter für viele weitere Auseinandersetzungen mit diesen Themen haben werden und beide Forschungsrichtungen vorantreiben werden.

Literatur

Bucher, Hans-Jürgen (2010): Multimodalität – eine Universalie des Medienwandels. Problemstellungen und Theorien der Multimodalitätsforschung. In: Bucher, Hans-Jürgen/Gloning, Thomas/ Lehnen, Katrin (Hg.): Neue Medien – neue Formate. Ausdifferenzierung und Konvergenz in der Medienkommunikation. Frankfurt a. M.: Campus, 41–79.

Fix, Ulla (2008): Nichtsprachliches als Textfaktor: Medialität, Materialität, Lokalität. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 36 (3), 343–354.

Hess-Lüttich, Ernest W./Warnke, Ingo H./Reisigl, Martin/Kämper, Hei­drun (Hg.) (2017): Diskurs – semiotisch. Aspekte multimodaler Dis­kursforschung. Berlin, New York: de Gruyter.

Jäger, Ludwig (2012): Transkription. In: Bartz, Christina/Jäger, Ludwig/Krause, Marcus/Linz, Eva (Hg.): Handbuch der Mediologie. Signaturen des Medialen. Paderborn: Fink, 306–215.

Jewitt, Carey (Hg.) (2014): The Routledge Handbook of Multimodal Analysis. Second edition. London: Routledge.

Klug, Nina-Maria/Stöckl, Hartmut (Hg.) (2016): Handbuch Sprache im multimodalen Kontext. Berlin, New York: de Gruyter.

Kress, Gunther (2014): What is mode? In: Jewitt, Carey (Hg.): The Routledge Handbook of Multimodal Analysis. Second edition. London: Routledge, 60–75.

Kress, Gunther/van Leeuwen, Theo (1998): Front Pages: The Critical Analysis of Newspaper Layout. In: Bell, Alan/Garrett, Peter (Hg.): Approaches to Media Discourse. London: Blackwell, 186–219.

Kress, Gunther/van Leeuwen, Theo (2001): Multimodal Discourse. The Modes and Media of Contemporary Communication. London: Arnold.

Kress, Gunther/van Leeuwen, Theo (2006): Reading Images. The Grammar of Visual Design. Second edition. London: Routledge.

O’Halloran, Kay L./Smith, Bradley (Hg.) (2011): Multimodal Studies. Exploring Issues and Domains. London: Routledge.

Royce, Terry D./Bowcher, Wendy L. (Hg.) (2007): New Directions in the Analysis of Multimodal Discourse. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates.

Wildfeuer, Janina (Hg.) (2015): Building Bridges for Multimodal Research. International Perspectives on Theories and Practices of Multimodal Analysis. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Wildfeuer, Janina/Bateman, John A. (2018): Theoretische und methodologische Perspektiven des Multimodalitätskonzepts aus linguistischer Sicht. In: IMAGE – Zeitschrift für Bildwissenschaft 28, 5–46.